Nachruf: Mike Hodges

29.7.1932 – 17.12.2022
Mike Hodges

Mike Hodges

Krimispezialist

Es war das Interview, das mir Zeit meines Lebens als denkwürdigstes in Erinnerung bleiben wird: Anfang Juli 1998 morgens um 8.30 Uhr in einem Münchner Hotelzimmer. Mike Hodges hatte am Vortag seinen neuen Film beim Filmfest München vorgestellt und bereitete sich jetzt auf seine Rückreise vor. Dass »Croupier« zu diesem Zeitpunkt noch keinen deutschen Verleih hatte (obwohl er in einem Studio in Düsseldorf gedreht worden war), ermöglichte es mir, ihm eine Stunde lang zuzuhören, einem Mann, der über seine mehr als drei Jahrzehnte im Filmgeschäft mit großer Offenheit und ebensolcher Bescheidenheit sprach.

Um seinen Namen in meinem Gedächtnis einzugraben, hatte es nur eines einzigen Films bedurft: »Get Carter«. Die Verfilmung von Ted Lewis’ Roman »Jack’s Return Home« wurde in Großbritannien schnell zu einem Klassiker des britischen Gangsterfilms. Darin kam einiges zusammen: die Verkörperung der Hauptrolle durch Michael Caine, das catchy Titelthema von Roy Budd, die am Dokumentarischen geschulte On-Location-Fotografie von Wolfgang Suschitzky, der mit der nordenglischen Industriestadt Newcastle selten auf der Leinwand Gezeigtes ins Bild rückte. Als düsterer Rächer ist der Gangster Carter eine zwiespältige Figur, aufgewertet dadurch, dass seine Gegner allesamt mehr oder weniger sleazy sind. Trotz komischer Momente ist es vor allem die Gewalt, die im Gedächtnis bleibt.

»Get Carter« war 1971 das Kinodebüt von Mike Hodges. Zuvor hatte sich der 1932 Geborene beim (damals neuen) kommerziellen Fernsehen hochgearbeitet, Mitte der sechziger Jahre drehte er in den USA Beiträge für die angesehene Reihe »World in Action«, danach wechselte er in den Kulturbereich – sein Gespräch mit Godard, aufgenommen in einem Cabrio, das die Champs-Élysées hi­nunterfährt, kann man auf der jüngsten DVD-Ausgabe von »A bout de Souffle« sehen. Mit der sechsteiligen Kinderserie »The Tyrant King« wechselte er 1968 zur Fiktion, ebenso wie im folgenden Suspect stellte er damit sein Gespür für Locations als auch seine Fähigkeit, schnell zu arbeiten, unter Beweis. 

1974 drehte Hodges in Los Angeles seinen ersten Studiofilm, »The Terminal Man« mit George Segal als Wissenschaftler, der sich einem riskanten Experiment unterzieht (vor einigen Jahren auf DVD erschienen). Das Individuum im Kampf mit manipulativen In­stitutionen hatte schon 1971 im Mittelpunkt seiner Episode »The Manipulators« für die Anthologieserie »The Frighteners« gestanden – wie Jack Carter war auch Mike Hodges keiner, der sich wegduckte, wiederholt legte er sich mit den Produzenten bzw. Geldgebern seiner Filme an, wenn die gravierende Änderungen vornahmen, so bei dem IRA-Thriller »A Prayer for the Dying« (Auf den Schwingen des Todes). Ein großes Vergnügen dagegen bereitete ihm letztlich die Verfilmung des Comicstrips »Flash Gordon«, zu der ihn der Produzent Dino de Laurentiis erst überreden musste. Der nahm den Stoff vollkommen ernst, während Hodges ihn als kindgerechten Comic inszenierte, akzentuiert von den Songs der Rockgruppe Queen (allerdings mit einigen Anspielungen für Erwachsene). Im Hotelzimmer in München erinnerte er sich an die überdimensionalen Bauten, die der italienische Production Designer schuf – so gigantisch, dass sie schließlich nicht durch die Tür der Werkstatt passten.

»Croupier«, ein Neo-Noir und einer der großen Spielerfilme, geschrieben von dem mit Hodges befreundeten Paul Mayersberg, gefiel dem Auftraggeber FilmFour nicht, erst auf dem Umweg über die USA wurde er ein veritabler Arthouse-Erfolg – und verhalf seinem Hauptdarsteller Clive Owen zum Durchbruch. Mit Owen drehte Hodges auch seinen letzten Film »I’ll Sleep When I’m Dead« (2002, deutsch: Dead Simple), seine letzte Arbeit war 2018 die Veröffentlichung von drei Kurzromanen, »Bait, Grist & Security«. Mike Hodges’ Anerkennung in Großbritannien wurde in den letzten Jahren auch durch die liebevollen und gut ausgestatteten Blu-ray-Veröffentlichungen von »Black Rainbow«, »Get Carter« und »Croupier« unterstrichen.

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