Kritik zu State of Play – Stand der Dinge
Der Letzte seiner Art: Kevin Macdonalds Paranoiathriller feiert den Reporter alten Schlags im vollem Bewusstsein, dass es sich um ein Auslaufmodell handelt
Unter den Kinohelden dieser Wochen, den flotten Youngsters aus Star Trek, den gestählten Körpern aus Wolverine oder den coolen Typen aus Limits of Control, wirkt Russell Crowes Figur in State of Play wie aus der Zeit gefallen: ein dicklicher Typ jenseits der 40, mit unmodischen langen Haaren und einem Beruf, den die wenig prickelnde Aura des rapiden Bedeutungsschwunds umgibt: der Mann ist Journalist. In seiner ersten Szene sieht man ihn in einem alten vermüllten Auto durch Washington fahren, während er zu uncoolem Irish Rock grölt und sich gleichzeitig mit Fast Food vollstopft. So viel zum Sozialprestige dieses Cal McAffrey, seines Zeichens Starreporter des einst sehr angesehenen »Washington Globe«.
Kevin Macdonalds Film nimmt unverblümt Bezug auf die aktuelle Zeitungskrise und inszeniert seinen Helden mit dementsprechend nostalgischer Nachsicht: Das Reportertum zeigt er als Handwerk, dessen Tricks desto unschöner aussehen, je effektiver sie sind. Zu diesem Handwerk gehört ein gewisses schmieriges Auftreten, wie zum Beispiel mit zwei Bechern Kaffee auf einem Tatort zu erscheinen und dem unfreundlichen Polizisten einen davon zu überreichen mit dem Spruch: »Für Freunde der Presse gratis«. Zu diesem Handwerk gehören auch so altmodische Dinge wie ein Schreibblöckchen, auf dem sich schnell die Telefonnummern aus einem Handy notieren lassen, während die Pathologin, die den dazugehörigen Leichnam untersucht, darauf hinweist, dass das illegal sei. »Bin schon fertig«, antwortet Cal und zeigt mit einem seltenen Lächeln seine Unangreifbarkeit. Ein Stift gehört natürlich auch zum Handwerkszeug, und dieses Detail nutzt der Film, um den Unterschied von altem und neuem Journalismus herauszustellen. Die »Neue« in der Zeitung, Della Frye (Rachel McAdams), »Bloggerin« der Onlineseite, muss sich ein ums andere Mal von Cal mit einem Stift aushelfen lassen.
Cal und Della, der alte und der neue Journalismus, werden auf denselben Fall angesetzt: Die Mitarbeiterin – und wie sich bald herausstellt auch Geliebte – eines Kongressabgeordneten (Ben Affleck) ist in der U-Bahn tödlich verunglückt. Unfall, Selbstmord oder gar Mord? Und warum findet sich die Nummer der Verstorbenen im Handy eines fast zur gleichen Zeit erschossenen Kleindealers?
Was State of Play so interessant macht, sind die zwei einander widerstrebenden Triebkräfte des Erzählens, die nun zur Wirkung kommen. Zum einen ist da das Mediengewerbe mit seinem Bedürfnis nach auflagesteigerndem Skandal. Hier würde man am liebsten die Geschichte des idealistischen Abgeordneten erzählen, den sein amouröses Laster zu Fall bringt.
Zum andern ist da die Welt der Washingtoner Politik. Wenn es in der »Geschichte« gar nicht um persönliche Verfehlungen ginge, sondern um »Größeres«? Hier gleitet das Reporterdrama nahtlos in den Verschwörungsthriller. Bezeichnenderweise verteidigt gerade Reporter Cal die These, dass der Kongressabgeordnete – im Übrigen ein alter Schulfreund von ihm – kein Täter, sondern Opfer sei: Der Großkonzern, dessen Geschäftsmethoden er in einem Ausschuss zur Anklage bringt, versuche, ihn mundtot zu machen.
Bis zuletzt überlässt der Film dem Zuschauer das Urteil: Macht Cal das, weil er seinen Freund, den Abgeordneten, schützen will? Oder macht er es, um seine eigene Bedeutung, die seines Berufs aufzuwerten? Oder ist auch er am Ende Opfer einer raffinierten Täuschung? Seine Spannung bezieht der Film aus dieser Zwiespältigkeit. Hinter jeder Version der Geschichte steckt ein Interesse, sie so und nicht anders zu erzählen.
State of Play beruht auf der gleichnamigen sechsteiligen Serie der BBC. Ob man für eine Geschichte 360 Minuten oder 130 zur Verfügung hat, macht sehr wohl einen Unterschied. Kevin Macdonalds Kinoversion wirkt deshalb streckenweise gehetzt und erklärungslastig. Für Gefühle zwischen den Figuren bleibt kaum Zeit – was sein Gutes hat: Cal und Della bekommen keine Liebesgeschichte angedichtet. Und trotz aller Zeitnot leistet sich der Film das, was für einen Paranoiathriller unabdingbar ist: Atmosphäre. Die kann nämlich nur entstehen, wenn die »Action « einmal aussetzt und die ruhelose Kamera ihren Blick beiläufig durch die Redaktionsräume schweifen lässt, über das kreative Chaos der unordentlichen Schreibtische hinweg.
Wie es sich gehört für einen Paranoiathriller, finden viele Begenungen im Dunkeln statt. Allgegenwärtig ist das Gefühl des Beobachtetseins: Laute Großstadtgeräusche mixen sich in die konspirativen Gespräche, und nervös rückt die Kamera immer wieder Gestalten und Bewegungen vom Rande ins Blickfeld: ein Mann im Café, der sich auffällig umdreht, ein vorbeihuschendes Mädchen, dessen Gesicht einem bekannt vorkommt, ein Hubschrauber, der sich nähert. Paranoia schützt ja bekanntlich noch lange nicht davor, tatsächlich verfolgt zu werden.
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