Venedig: Videospielschlacht um Athena
»Athena« (2022). © Kourtrajmeuf Kourtrajme/Netflix
»Athena« beginnt überwältigend: knapp fünfzehn Minuten dauert die atemlos voranpeitschende Plansequenz, die im Gesicht des Soldaten Abdel, der seinen jüngsten Bruder verloren hat, in einem Polizeipräsidium ihren Anfang nimmt und in reinster Anarchie endet. Sein jüngerer Bruder Karim schmeißt einen Brandsatz aus den hinteren Reihen, bevor er und eine Horde Typen das Revier in Schutt und Asche legen, Waffen und Munition klauen und mit einem gestohlenen Polizeiwagen fliehen.
Die Kamera gleitet durch die Räume, nimmt uns mit durch das Hochfrequenz-Chaos, Schreien, Explosionen, später heulende Motorräder. Und dann, nach diesem Auftakt, der mit einer Art Gruppenbild der Gaunerbande auf einem Vorsprung an ihrer verbarrikadierten Banlieue endet? Leider enttäuschende Wiederholungen mit einem dünnen Plot im Videospielmodus. Auf den Satz »Das ist kein Spiel«, der einmal im Film fällt, möchte man kontern: »Wirkt aber so!«
Der französische Regisseur Romain Gavras bleibt dem Plansequenzmodus über fast die gesamte Spielzeit seines Wettbewerbsbeitrags treu und hetzt seine gesellschaftlich randständigen Antihelden in Jump 'n' Run-Manier durch die Gebäude der Banlieue, die von einem große Geschütze auffahrenden Sicherheitsapparat belagert wird wie eine Festung. Der Film folgt dabei abwechselnd Karim und Abdel. Ersterer will Rache für den Tod des jüngsten Bruders, für den er die Polizei verantwortlich macht, letzterer versucht, den kaum begrenzbaren Schaden in dem Frontenkrieg zu begrenzen. Ein Polizist wird als Geisel genommen und die Eskalationspirale dreht, verstärkt noch durch den pulsierenden Score, nach und nach völlig frei.
Gavras, der auf der Homepage zum Film von seiner Faszination für griechische Tragödien erzählt, zelebriert seine größtenteils in der Hochhaus-Festung Athena spielende Version großspurig: ein Brüderdrama (die biblische Aufladung durch die Namensnähe zu Kain und Abel inbegriffen) als filmische Unmittelbarkeitsstudie. Auch wenn das technisch virtuos umgesetzt sein mag, zeigt »Athena« eindrücklich, dass eine formal mit der Brechstange evozierte Nähe zu den Figuren oder Ereignissen nicht mit einer emotionalen zu verwechseln ist. Sein ambitionierter Film bleibt blutleer. Dass das dumpfe toxische Hufgescharre auch etwas von einer kruden Männerfantasie hat, macht es nicht besser.
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