Kritik zu Mit 20 wirst du sterben
Amjad Abud Alalas Spielfilmdebüt wurde 2021 als erster sudanesischer Beitrag für die Oscars eingereicht. Kein Wunder: Es ist ein Film, der nicht nur Zauber aus seinem Setting zieht, sondern auch als politische Allegorie funktioniert
Die spirituellen Karten stehen schlecht: Als Mutter Sakina (Islam Mubarak) mit dem neugeborenen Muzamil beim Dorfweisen vorstellig wird, kippt ein tanzender Derwisch um. Der heilige Mann des Dorfes prophezeit, dass der Junge mit 20 sterben wird. Als quasi Halbtoter schlurft Muzamil, verlassen vom Vater, überbehütet von der Mutter, durch seine Kindheit und Jugend. Er meidet jedes Risiko, schwimmt nicht im Nil wegen der Krokodile und wird von den anderen Dorfkindern »Sohn des Todes!« gerufen. Motiviert vom Imam meint er, im Glauben eine Heimat zu finden.
Regisseur Amjad Abu Alala wirft uns in seinem Debütfilm, der beim Filmfest in Venedig Premiere feierte und 2021 als erster sudanesischer Beitrag ins Oscar-Rennen geschickt wurde, hinein in die Al-Jazira-Provinz im Südsudan. Eine neue kinematografische Welt: Der Wind treibt den Wüstensand über die Ebene, die Sonne leuchtet verführerisch zwischen den Steinhütten des Dorfes und den wie Zauberhüten in den Himmel ragenden Spitzen der Gotteshäuser. Das Leben ist traditionell, wird bestimmt vom Sufismus, einer mystischen Art des Islams, und vom Gedanken, eine Familie zu gründen.
Zwar mag für den westlichen, nicht in die Sitten und Bräuche der Provinz eingeweihten Blick einiges rätselhaft bleiben. Aber es steckt in Alalas bildgewaltigem Film eine universelle Geschichte. »Mit 20 wirst du sterben« erzählt vor dem Hintergrund der düsteren Prophezeiung von einem ungewöhnlichen Coming of Age. Da ist eine taffe Frau, die Muzamil sehr deutliche Signale sendet, und da ist Sulaiman, quasi der Dorfpunk, ein rauchender, illegal Alkohol trinkender, weit gereister Lebemensch, der dem Jungen so etwas wie ein Ersatzvater wird. In einer wunderbaren Szene in der Moschee bespritzt er eine weiße Serviette mit Tinte: »Wenn du mal gesündigt hast, verstehst du den Unterschied zwischen weiß und Tinte.«
Gedreht im Dorf seines Vaters, inspiriert von einer Kurzgeschichte des sudanesischen Schriftstellers und Aktivisten Hammour Ziada, erzählt der im Sudan geborene, in Dubai aufgewachsene Alala eine düster-flirrende Emanzipationsgeschichte. Nie wird infrage gestellt, dass die Prophezeiung sich erfülle. Aber: Wie aus der dunklen, gruftartigen Kammer entfliehen, in der Mutter Sakina die vergangenen Wochen an die Wand schreibt?
Leben und Tod sind allgegenwärtig in diesem von verträumten Bildern (Kamera: Sébastien Goepfert) strotzenden Film, in dem mit einem Wimpern-schlag Jahre vergehen, sich das Leben in einem alles übertönenden Herzschlag manifestiert und in dem auch das Kino selbst zum Ort der Sehnsucht wird. »Weißt du, was Kino ist?«, fragt Sulaiman den unbeleckten Muzamil und zeigt ihm später seine alten Filmaufnahmen.
»Mit 20 wirst du sterben« ist Kino pur, ein Film voll sprechender Bilder, in dem ein persönliches Schicksal zur Freiheitsparabel für die Menschen wird, die sich 2019 gegen den vom Militär abgesetzten Autokraten Umar al-Baschir gestellt haben. »Für die Opfer der Revolution im Sudan« heißt es am Ende, und Muzamils Bewegung ist die einer Nation.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns