Ein Schisma
Mittlerweile löst die Veröffentlichung eines neuen Films von Arnaud Desplechin offenbar unwiderstehliche Reflexe aus. Die angloamerikanische Presse winkt irritiert ab, die französische Kritik feiert ihn als als Meisterwerk, und die deutsche Cannes- Berichterstattung nimmt keine Notiz von ihm.
Sie wahrt gewissermaßen feindselige Neutralität, denn Deutschland ist der einzige bedeutende Kinomarkt, auf dem noch nie ein Film des Franzosen verliehen wurde. In diesem Jahr kam es besonders arg. Voller Schadenfreude zählte ein US Kritiker die Pfiffe (zwei) und Buhrufe (sieben) auf, die nach der Premiere von »Frère et Soeur« ertönten; nennenswerten Applaus vernahm er nicht. Im internationalen Kritikerspiegel belegte der Film einen der letzten Plätze, "Le Monde" gab die Empfehlung "À ne pas manquer" (Auf keinen Fall verpassen) aus, und die deutsche Kritik hielt sich ganz 'raus. Desplechins vorangegangener Film »Tromperie« (Deception/Täuschung) stieß im letzten Jahr auf größere Nachsicht - vermutlich, weil Léa Seydoux mitspielt, die von wem auch immer dazu gekrönte Königin von Cannes.
Trotz ihrer Star-Präsenz und seiner literarischen Abkunft (Philip Roth' gleichnamiger Roman von 1990) fand auch dieser Desplechin keinen hiesigen Verleih. Allerdings läuft er inzwischen auf MUBI, rein numerisch sogar mit einer guten Bewertung durch die User (7,3 von 10 Sternen). Wenn man sich jedoch durch die englischsprachigen Kommentare scrollt, wird man einer enormen Ablehnung inne. Sie trägt Züge geradezu religiösen Eifers. Der wesentliche Vorwurf, den ich herauslese, besteht darin, dass er ein französischer Film ist.
Nicht zuletzt das finde ich spannend an ihm. Die althergebrachte Anschuldigung, Desplechins Filme würden nur in der Blase Pariser Intellektueller spielen und seien über sie hinaus von minimalem Interesse, entkräften bereits seine Schauplätze, London und New York. »Tromperie« gehört dem immens ertragreichen Strang seines Werkes an, der auf einer intensiven Auseinandersetzung mit englischsprachiger Literatur (unmittelbar: Edward Bond, Arthur Symons, unlängst hat er an der Comédie francaise“ Tony Kushners »Angels in America« inszeniert; unterschwellig: James Joyce) beruht. Roth beschäftigt ihn seit einer halben Ewigkeit: Die Figur des Paul Dedalus, die sich als Alter ego durch sein Werk zieht und meist von Mathieu Amalric gespielt wird, ist das vertrackte Gegenstück zu Roth' Nathan Zuckerman.
Als Geste der kulturellen Aneignung ist »Tromperie« faszinierend, man höre sich nur einmal an, welchen Honig der sprachverliebte Hauptdarsteller Denis Podalydès aus simplen Vokabeln wie "livres" oder "chair" saugt, die aus seinem Mund viel weicher, voller klingen als das Original (books, flesh). Dem Roman ist eine Meta-Ebene eingezogen – die Hauptfigur ist Schriftsteller, heißt tatsächlich Philip Roth und veröffentlicht am Ende einen Roman namens "Deception" -, die den Film indes weniger bereichert. Er hat nicht ganz so ausdauernde Freude an diesem Spiegelkabinett-Element: Die Ehefrau des Buches lässt sich unmissverständlicher als die Schauspielerin Claire Bloom identifizieren, mit der Roth seinerzeit verheiratet war, im Film hat mich hingegen begeistert, dass Desplechin den Part mit Anouk Grinberg besetzt hat, die dem Kino lange Zeit sträflich abhandengekommen war.
Sein Film ist mithin kein Beispiel ungenierter Autofiktion, die in Frankreich inzwischen zum Glück auch weniger Furore macht, wohl aber ein Spiel mit den Masken der Erkennbarkeit. Mit dem ist Desplechins Kino sehr vertraut, das regelmäßig eigene, lebensgeschichtliche Quellen ausschöpft. Seine ehemalige Lebensgefährtin, die Schauspielerin Marianne Denicourt, strengte vor Jahren gar einen Prozess gegen die Darstellung ihrer Beziehung, ihrer Familiengeschichte – und tragödien in »Rois et Reine« (Das Leben ist seltsam) an, Den verlor sie zwar, das Gericht fand die Erzählung hinreichend verschlüsselt und bewertete die künstlerische Freiheit als das höhere Rechtsgut. Aber ihr Vorwurf, Desplechin sei ein Vampir, der alle ausbeute, die ihm nahe stehen, hing dem Regisseur dennoch an. Wenn dem denn tatsächlich so wäre, müsste Desplechin den Philip Roth des Romans bestens verstehen.
Eine so simple Übertragung findet in seiner Adaption jedoch nicht statt. Desplechin ist ein Autorenfilmer, der nicht notwendig in der ersten Person Singular erzählen muss: Hier verfilmt er die Nabelschau eines anderen. Seine Handschrift ist unverkennbar, sie zeigt sich beispielsweise in der altmodischen Stilfigur der Irisblende, die vor allem Seydoux umschließt und fokussiert. Die Cinemascope-Tableaus stellen oft eine bühnenhafte Distanz zu den Figuren dar, die in wechselnden Interieurs bzw. vor wechselnden Hintergründen (mitunter ist es fast ein Blue Screen-Film) agieren. Desplechin geht eine Wette mit der Intimität ein. Podalydès verstrickt die Frauen seines Lebens in forschende Dialoge über ihre Gefühle und seine jüdische Identität. Sie sind auch ein Präludium der Erotik, aber nicht durchgehend. Die Handlung spielt 1987, vor all den Zeitenwenden, mit denen sich die Konversationsregeln zwischen den Geschlechtern wandelten.
Wie bei den Verhören in Desplechins vorangegangenem Polizeifilm »Roubaix, une lumière« geht es mehr um das Wie als das Was der Wahrheitsfindung. Hier stellt zunächst ein narzisstischer Satyr die Fragen, der neugierig auf Nuancen der Bewunderung ist. Er genießt, dass sein Gegenüber bei ihm Bestätigung sucht. Podalydès rechnet "Philip" scharf aus, aber er kann nicht umhin, aufrichtige Empathie und Teilnahme in ihm zu entdecken. Es fällt ihm schwer, etwas anderes als - einst liebende, nun freundschaftliche - Fürsorge in die Gespräche mit einer Gefährtin zu legen, die an Krebs erkrankt ist (Emmanuelle Devos spielt sie, als einziges Mitglied von Desplechins Filmfamilie, das hier auftritt). Im Mittelpunkt steht indes Seydoux als unglücklich verheiratete Engländerin, deren Beziehung zu Philip sich mählich wandelt, im Zyklus der sich ablösenden Jahreszeiten. Der Dreiklang »Tromperie«, »Deception« und »Täuschung« meint Ehebruch ebenso wie Fiktion. Das Reden ist auch ein Leben im Konjunktiv. Die Dinge verändern sich beim Schreiben, sagt er am Ende zu ihr, als der Roman erschienen ist. Sie ist enttäuscht, wie passiv ihre Figur darin wirkt. Monatelang war sie wütend und findet nun milde Worte für diese Wut.
Versöhnlich ist das nur auf den ersten Blick. Vielmehr eröffnet der Film zwischen den Worten einen Raum des Bedauerns über Unterlassungen und Versäumnisse, fehlende Einfühlung und Sensibilität. Er öffnet ihn für das Publikum noch weiter als für seine Figuren. Was »Tromperie« angeht, stehe ich eindeutig auf der Seite von "Le Monde". Die Hoffnung, dass Desplechin irgendwann auch hier zu Lande durchgesetzt werden könnte, mag ich ohnehin nicht aufgeben. arte bietet derzeit eine Gelegenheit dazu, ihn näher kennen zu lernen: mit vier seiner Filme, darunter meinem heimlichen Favoriten »Ester Kahn«, die bis Ende August in der Mediathek zu sehen sind. (https://www.arte.tv/de/videos/RC-022418/filme-von-arnaud-desplechin/)
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