Amazon: »Der Anruf«
Es war ein Desaster für die westlichen Geheimdienste, vor allem die CIA: vor acht Jahren entführten Terroristen eine Linienmaschine und forderten die Freilassung von acht Gesinnungsgenossen in verschiedenen westeuropäischen Ländern. Die Verhandlungen scheiterten, am Ende gab es mehr als hundert Tote zu beklagen. Henry Pelham (Chris Pine) arbeitete damals in der Wiener Niederlassung der CIA, auf dem dortigen Flughafen spielte sich das Drama ab.
Jetzt erhält der mittlerweile zurückgezogen lebende Henry Besuch von seinem damaligen Chef Victor (Laurence Fishburne). Der hat explosive Neuigkeiten: einer der damaligen Entführer wurde festgenommen und hat ausgesagt, dass sie damals einen Maulwurf innerhalb des Wiener CIA-Büros hatten. Den möchte Victor gerne aufspüren und damit die Schmach von einst tilgen. Verdächtig ist nicht zuletzt Celia Harrison (Thandiwe Newton), mit der Henry seinerzeit eine Beziehung hatte. Am Morgen nach dem Drama ist sie aus seinem Bett und aus seinem Leben verschwunden – weil er etwas von ihr wusste, das er nicht hätte wissen sollen? Oder umgekehrt?
Der Agentenfilm als Kammerspiel: an einem einzigen Ort in einer einzigen Nacht (mit gelegentlichen Rückblenden) wird die zentrale Frage des Genres behandelt: wem kann ich trauen?
Hauptschauplatz des Films ist ein elegantes Restaurant mit Panoramablick in Kalifornien, wo Celia mit Ehemann und Nachwuchs heute lebt. Er sei geschäftlich in der Gegend und würde sie gerne zum Essen treffen, hat Henry ihr geschrieben. Ahnt sie, worum es in Wirklichkeit geht? Von einem entspannten Essen unter ehemaligen Kollegen und Liebenden, die sich zögerlich wieder aneinander anzunähern scheinen und zwischen denen noch immer eine Spannung spürbar ist (besonders spürbar, als sie einmal von einem Schinkenstreifen seines Essens abbeißt, den er ihr hinhält), wird ihr Dialog mehr und mehr zu einem Katz-und-Maus-Spiel, auch zu einem Verhör. Versuchen beide, gemeinsam die Wahrheit herauszufinden oder tut eine(r) alles, um diese zu verschleiern? Was ändert sich, als Henry entdeckt, dass sich am Schauplatz mindestens noch ein weiterer Mensch befindet, der nicht der ist, der er vorgibt zu sein.
»Der Anruf« basiert auf dem gleichnamigen Roman von Olen Steinhauer (2015), der auch das Drehbuch verfasst hat. Bekannt wurde er 2009 mit »The Tourist«, dem ersten von bislang vier Romanen über den Agenten Milo Weaver, bekannter ist er hierzulande aber wohl durch die in Berlin angesiedelte (und gedrehte) Agentenserie »Berlin Station« (2016-19; drei Staffeln; ausgestrahlt auf ONE), für die er selber in Berlin gelebt und recherchiert hat.
»Der Anruf« ist allerdings ein Gegenentwurf zu dem Agentenfilm, der in rascher Folge Städte. Länder und Kontinente durchschreitet: verknappt in Ort und Handlungszeitraum erfindet er das Genre neu als Kammerspiel, das die Vergangenheit in immer wieder eingeschobenen Rückblenden lebendig werden lässt. Der Terror an Bord der Maschine wird zu kurzen Momenten verknappt, der Wettlauf gegen die Zeit dramatisiert, wenn die verzweifelten Versuche der Agenten, Informationen von ihren Kontaktpersonen vor Ort zu bekommen, fehlschlagen. Die offenen Fragen, die nach jener Nacht blieben, rücken jetzt in den Mittelpunkt: wer führte damals aus dem Büro von Henrys Vorgesetzten ein Telefonat mit einer Nummer in Teheran? Steht der Selbstmord eines Agenten Monate später im Zusammenhang mit den Ereignissen? Wie geriet ein Kontaktmann Henrys in die Fänge der Russen, die ihn folterten? Acht Jahre später werden die Erinnerungen der CIA-Mitarbeiter wieder lebendig – aber entsprechen sie der Wahrheit oder sollen sie den Gegenüber in die Irre führen?
Inszeniert von dem Dänen Janus Metz (»Borg vs. McEnroe«), ist hier ein Kammerspielthriller entstanden, der die Spannung bis zum Ende hält – und den Zuschauer auch dann in die Ungewissheit entlässt.
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