Kritik zu Like Father, like Son

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Gleich nach der Premiere in Cannes sicherte sich Steven Spielberg die Rechte, um ein Remake von Hirokazu Koreedas Film zu produzieren. Dazu kommt es hoffentlich nicht. Denn wer könnte von den Konsequenzen eines Babytauschs einfühlsamer erzählen als der Japaner?

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4 (Stimmen: 3)

Bereits in der ersten Szene stellt der Film seinen Titel infrage. Die Eltern Nonomiya wollen den sechsjährigen Keita in einer Privatschule vorstellen. Es ist ein Bewerbungsgespräch; die Familie sitzt einer höflichen Prüfungskommission gegenüber. Die Eltern hoffen, dass der Besuch einer Privatschule dem Jungen einen besseren Start ins Leben ermöglicht. Die Kamera filmt sie und ihr Kind in einer adretten Frontalität; der Bildaufbau ist symmetrisch. Die Nonomiyas erwecken den Anschein einer mustergültigen Familie. Keita sei ein ruhiges Kind, sagt der Vater, Misserfolge störten ihn nicht: Er komme eher nach seiner Mutter.

Später, zu Hause, wird die Aufnahme in die Schule mit einer Torte und Kerzen gefeiert – geradeso wie man einen Geburtstag begeht. Aber es ist bereits ein erster Riss sichtbar geworden, der sich durch das Bild der Familie zieht. Die Floskel »Wie der Vater, so der Sohn«, auf die sich der internationale Titel von Hirokazu Koreedas neuem Film beruft, ist wie jede Redensart eine Gedankenlosigkeit, in der sich gleichwohl eine tiefe Wahrheit verbergen könnte. Der Regisseur hält sie der Frage würdig, sein Film wird ihre Gültigkeit aus vielen Blickwinkeln überprüfen. Der Originaltitel lautet jedoch anders: Soshite chichi ni naru lässt sich mit »Schließlich Vater sein« übersetzen. Während die Redensart die Entwicklung eines Kindes bereits festschreibt, spricht das Original nur von einem Vater und stellt zugleich die Schilderung eines Prozesses in Aussicht, der lange dauern und schwierig sein wird. Durch diesen Widerspruch zwischen Bestimmung und Freiheit wird der Film mit einer Sicherheit navigieren, die das Wissen um die Fragilität von Identität und Beziehungen nie verdrängt.

Kurz nach der Feier erhalten Ryota und Midori Nonomiya einen Anruf von dem Krankenhaus, in dem Keita geboren wurde. Im Hospital wird ihnen eröffnet, dass dem Personal der Entbindungsstation damals ein Fehler unterlaufen sei und zwei Neugeborene vertauscht wurden. Ihr leiblicher Sohn ist in einer anderen Familie aufgewachsen, die ihm den Namen Ryusei gab. Keita wiederum ist das Kind des Ehepaares Saiki.

Bei der ersten Begegnung der Paare wird deutlich, welch unterschiedlichen Milieus sie angehören. Ryota Nonomiya ist ein erfolgreicher Architekt, Yukari Saiki betreibt einen kleinen Elektrohandel. Die Kinderfotos, die sie einander zeigen, legen noch einen weiteren Gegensatz offen: Keita ist auf dem Porträt streng herausgeputzt, ­Ryusei hingegen lächelt vergnügt vor buntem Hintergrund. Beide Familien stehen vor einem unerträglichen Dilemma und müssen folgenreiche Entscheidungen treffen. Es herrscht kein böser Wille zwischen den beiden Parteien; sie teilen die Sorge um das Wohl der Söhne. Aber dennoch ist es unausweichlich, dass allen Beteiligten Leid zugefügt wird.

Die Verwechslung von Neugeborenen ist ein häufiges, man könnte beinahe sagen: beliebtes Filmsujet. Der Babytausch taucht als Topos in diversen TV-Melodramen und Horrorfilmen (Das Omen) auf, dient aber vor allem als Prämisse für Komödien. Das berühmteste Beispiel für dieses Register ist Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss, mit dem der Werbefilmer Étienne Chatiliez vor mehr als einem Vierteljahrhundert sein Kinodebüt gab. Er nutzt die Ausgangssituation als Anlass zu einer saftigen Satire; seither gehört es zu den unverzichtbaren Konventionen, dass die Familien aus unterschiedlichen Schichten stammen.

Auch Koreeda hält sich an dieses Gebot der sozialen Differenz, beschreitet aber einen anderen Weg als den der Kulturschockkomödie. Er hat einen stillen Film gedreht, der auf die zu erwartenden Wutanfälle und Zusammenbrüche weitgehend verzichtet und der Tragik in einem unaufgeregten Tonfall Rechnung trägt. Den Bruch, der plötzlich durch das Leben der Figuren geht, fängt er mit einer atmosphärischen Montage der Beobachtungen auf. Sein Anteil nehmender Blick bedarf nicht des Nachdrucks der Großaufnahme, lieber bettet er seine Figuren in ihr Umfeld ein. Eine zuversichtliche Wehmut liegt über diesem Film, ein unsentimentales Einverständnis mit dem Leben, wie es in den Familienmelodramen von Mikio Naruse und Yasujiro Ozu oder auch den Grafischen Romanen von Jiro Taniguchi herrscht.

Voller Empathie setzt Koreeda die unterschiedlichen Reaktionen der Elternpaare und Kinder gegeneinander ab. Ihn interessieren nicht die philosophischen, nicht einmal die ethischen Implikationen dieses Dilemmas (obwohl die Frage nach Vererbung und Sozialisation erwogen wird). Seinem Film gebricht es an der Mechanik, zu der dieser Konflikt andere Regisseure gewiss verführt hätte. Natürlich schlägt er sich auf die Seite der Kinder – schließlich kann kein anderer Regisseur diese heutzutage so gut filmen wie er: mit dem richtigen Abstand, ohne die Behauptung der gleichen Augenhöhe und ohne ihnen erwachsene Worte in den Mund zu legen. Er lässt sie kluge Fragen stellen – aber er tut es nicht um der Lösung eines dramaturgischen Problems willen, sondern voller Bewunderung für ihre Gabe, die Widrigkeiten des Lebens zu meistern, indem sie sie in den Fluss des Alltäglichen einbetten. Die Weisheit der Kinder zeigt sich in seinen Filmen schon darin, wie fasziniert sie von der Mobilität sind, von Flugzeugen, Zügen, Luftballons und Drachen.

Bei Chatiliez sind es die Kinder, die stets im Transit zwischen ihrem zweifachen Zuhause zu sehen sind. Bei Koreeda jedoch sind es die Erwachsenen. Den Konflikt, der nach erzählerischer Symmetrie hätte verlangen können, schildert er vom Standpunkt Ryotas aus, den der Popstar Masaharu Fukuyama eindrücklich spielt. Er leidet nicht am stärksten unter der Situation, kommt aber am schlechtesten mit ihr zurecht. Kann der pflichtbewusste, ehrgeizige Architekt sich von den Projektionen befreien, die er auf seinen Sohn, seine Söhne richtet? Dazu müsste er die Einsicht gewinnen, die der andere Vater instinktiv besitzt. Ryota ist der Lernprozess aufgegeben, von dem der Originaltitel spricht. Sein größtes Glück wäre es, ein Vater zu werden, den Keita und Ryusei einer Adoption für würdig erachten.

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