Ein Beitrag zur Verrentungsdebatte
Ein solcher Titel regt die Phantasie an: I used to be a filmmaker. Ihm steht noch ein Name voran, Tarr Béla. Der ungarische Regisseur kündigte vor einigen Jahren an, er wolle sich nach A Turin Horse aus dem Filmgeschäft zurückziehen und fortan an einer Filmschule auf dem Balkan unterrichten. Das erklärt die Vergangenheitsform. Wird man in dem Film aber auch seine Gründe für den Abschied erfahren?
Tarr Béla, I used to be a filmmaker läuft im Rahmen der Reihe "Doku Arts", die vom 10. September bis zum 12. Oktober im Berliner Zeughauskino gezeigt wird. Der Kurator der Reihe entmutigte mich: Nein, über seinen Rückzug spreche Tarr nicht, man sähe ihn vielmehr bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film. Das ist sicher spannend. Eine Antwort hätte ich aber doch gern. Vielleicht kann der Dokumentarist Jean-Marc Lamoure sie geben, wenn er sein Werk am 23. 9. vorstellt? Tarrs Entscheidung beschäftigt mich. Wie kann einer, der offensichtlich vom Filmemacher besessen ist, Abschied von seiner Leidenschaft nehmen? Gewiss, das kulturfeindliche Klima im heutigen Ungarn mag da eine Rolle spielen. In den Jahren vor Turin Horse war von einer Schaffenskrise zu lesen, von Selbstzweifeln, die wohl verstärkt wurden durch den Selbstmord, den Humbert Balsan, der Produzent seines vorletzten Films, Der Mann aus London während der Dreharbeiten beging. Ich stelle mir überdies vor, dass es ein enormer Kraftakt sein muss, solch Filme zu drehen, wie Tarr es tut. Tat. Aber er ist noch nicht einmal 60!
In der letzten Zeit häufen sich die Nachrichten über Filmemacher, die ihren Beruf aufgeben wollen. Ich mag sie nicht einfach so hinnehmen. Gewiss, jeder wird seine je eigenen und wohl auch guten Gründe haben. Hayao Miyazaki kündigte seinen Schritt mit Anfang 70 an. Nun will er mehr Zeit mit seinem kleinen Enkel verbringen. Aber was tut er, wenn der groß ist? Sein Kollege Isao Takahata, mit dem er gemeinsam die Ghibli-Studios gründete, zieht sich ebenfalls zurück. Auch Ken Loach trägt sich mit dem Gedanken, nach Jimmy's Hall keine Spielfilme mehr zu drehen. Er hätte mit einem würdigeren Werk abdanken können. Als ich ihn vor einigen Wochen interviewte, beschrieb er mir die physischen Mühen, die ihn das Filmemachen kostet: Jeden Tag würde er mehrere Kilometer laufen, um mit Schauspielern und Teammitgliedern auf dem Set zu sprechen und er sei nicht sicher, ob er noch genug kreative Energie aufbringen könne, um seine Mitarbeiter anzustecken. Er ist 77 Jahre alt, wirkte bei unserer Begegnung aber eher zer- als gebrechlich.
Das größte Aufsehen erregte diesbezüglich Steven Soderberghs Ankündigung, sich nun dem Theater, der bildenden Kunst und/oder dem Fernsehen zuzuwenden. Er ist gerade mal Anfang 50 und verabschiedete sich mit einer Brandrede gegen das Hollywoodgeschäft, in der er das Wegbrechen einer erzählerischen und ökonomischen Mittellage zwischen Mainstream und klammen Independentkino beklagte. Sein Befund wird zweifellos stimmen. Allerdings fällt es schwer, sich vorzustellen, er selbst habe Probleme, Filme in dieser Mittellage finanziert zu bekommen. Mir scheint seine Entscheidung eher einer dandyhaften Koketterie geschuldet. Er lässt sich auch viel zu viele Hintertüren offen (will die Fortsetzung von Magic Mike produzieren und fotografieren), als dass man von einer konsequenten Entscheidung sprechen mag.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die erzählerische Phantasie der oben Genannten wirklich versiegt sein sollte. Vielmehr hege ich große moralische Vorbehalte gegenüber ihrem Wunsch, die eigene Kunst im Stich zu lassen. Von einem Filmemacher erwarte ich, dass er Verantwortung trägt für sein Talent. Ich erwarte, dass er seinen Beruf mit einer Leidenschaft ausübt, die nicht vor der Zeit erlischt. Mir fällt dazu zuallererst ein Begriff aus dem militärischen Sprachgebrauch ein: von der Fahne gehen. Das mag eine hochmütige Verkennung der Realitäten des Filmgeschäfts sein. Aber vielleicht ist es einfach ein Phänomen des Zeitgeistes. Warum sollten Filmemacher es anders halten, wenn heutzutage reihenweise Könige und sogar ein Papst abdanken?
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns