Kritik zu Schattenstunde
Benjamin Martins inszeniert die letzten Stunden der christlich-jüdischen Familie Klepper, die sich in der Nacht zum 11. Dezember 1942 gemeinsam das Leben nimmt, als gewagte Mischung aus Psychodrama und Horrorfilm
Die Enge, die das quadratische Bildformat suggeriert, wird noch verstärkt, als die Kulissenwände des Zimmers, in dem diese Kammertragödie sich ereignet, sich aufeinander zu bewegen. Es ist, als säßen die Protagonist*innen in jener von Edgar Allan Poe in »Die Grube und das Pendel« erdachten Falle. Und in der Tat werden sie vom System zerquetscht.
»Gedemütigt, entrechtet, Flucht in den Tod« steht auf dem Stolperstein vor Jochen Kleppers ehemaligem Wohnhaus. Dort, in der Teutonenstraße in Berlin-Nikolassee, hat sich der evangelische Schriftsteller, Journalist und Lieddichter in der Nacht zum 11. Dezember 1942 das Leben genommen. Gemeinsam mit seiner jüdischen Frau Johanna und seiner Stieftochter Renate, denen kurz zuvor die Ausreise aus Nazideutschland verweigert worden war. Klepper selbst, da »arisch«, stand vor der Wahl: Beruf oder Ehe. Also vergifteten sich die drei einander in Liebe verbundenen Menschen mit Tabletten und drehten obendrein noch das Gas auf. Nicht, ohne zuvor einen fürsorglichen Zettel außen an die Türklinke zu hängen, mit der Aufschrift: »Vorsicht, Gas!«
Familie Klepper, deren letzte Nacht »Schattenstunde« auf reichlich unbequeme Weise rekapituliert, steht stellvertretend für jene Tausende in damals sogenannter »Mischehe« lebende christlich-jüdische Deutsche, die während der NS-Zeit gemeinschaftlich Selbstmord begingen, um einem Transport in die Lager zu entgehen.
Das Drehbuch von Benjamin Martins beruht auf Tagebucheinträgen Kleppers, darin sich auch, wenig verwunderlich, ein intensives Ringen mit den eigenen Glaubensgrundsätzen ausdrückt, gilt der Suizid den Christen doch als Todsünde. Und wer gibt ihm überhaupt das Recht, Johanna und Renate mit sich zu reißen? Möglicherweise ginge es mit etwas Gottvertrauen doch noch gut aus, und man käme irgendwie davon?
Die moralphilosophischen Reflexionen und ethischen Überlegungen, die Klepper noch ein letztes Mal schwer umtreiben, übersetzt Martins im Rahmen seines visuell immer wieder überraschenden Films als konkretes Hadern mit einer teuflischen Gestalt in Horrorbilder. Das blanke Grausen aber ergreift einen auch dann, wenn der Weg der drei Menschen in ihr schreckliches Sterben geradezu detailverliebt inszeniert wird. Wenn sie weinen, jammern, klagen, die Tabletten in sich hineinstopfen, wenn die Schmerzen einsetzen und der Atem vergeht. Wenn schließlich die Kamera in Aufsicht auf die drei »Toten« herabblickt und diesen Blick hält und das tatsächlich dann irgendwann wirkt wie eine Fotografie, die historische Authentizität behauptet.
»Schattenstunde« wandert auf einem schmalen Grat zwischen generalisierender Abstraktion und identifikatorischem Realismus und stürzt mal den einen, mal den anderen Abhang hinunter. Ein ambitioniert gescheitertes filmemacherisches Wagnis? Vielleicht auch das. In jedem Falle aber eine mutige Herausforderung der narrativen Konventionen. Es ist ein Werk, das Stellung bezieht und das auf zwiespältige Weise sehenswert ist.
Kommentare
Schattenstunde
Leider ist dieses Werk auch eine Schattenstunde der Filmkunst. Einen solchen Nachruf haben Kleppers nicht verdient! Schon das Ignorieren von Äußerlichkeiten verrät mangelndes Einfühlungsvermögen: Eichmann als zackiger Soldat statt Bürokrat. Ein prekären Zimmer statt dem bürgerlichen Ambiente. Ein Radio aus der Adensuerzeit statt eines Volksempfängers ( bei beiden müssen übrigens erst die Röhren warm werden, bevor man was hört), und , als Gipfel, das schlechte Gewissen personifiziert als schwarzer Mann. Fazit: Selten einen Film mit derart vielen handwerklichen Fehlern gesehen -- und das auf dem Rücken des tragischen Schicksals der Familie Klepper!
Schattenstunde
Sehr gut kommentiert. Einer der schlechtesten Filme zu diesem tief gehenden Thema. Ist eine Zumutung.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns