Buch-Tipp: Maria Lassnig – Das filmische Werk
Im Jahr 1970 ließ sich die österreichische Malerin Maria Lassnig (1919 – 2014) auf ein spartanisches Singledasein in New York ein. Unzufrieden mit den Ausschlussmechanismen des Kunstbetriebs in Wien und Paris, wo sie zuvor gelebt hatte, entwickelte sie dort erst ihre unverwechselbare figurative Malerei, nicht zuletzt in engem Zusammenhang mit den feministischen Strömungen dieser Zeit, die sie ein Jahrzehnt lang in der turbulenten Metropole inspirieren sollten. Das vermaledeite Verhältnis zwischen den Geschlechtern und eine bestimmte Form weiblichen Körperbewusstseins, die sie als radikale Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst verstand, wurden zu ihrem Lebensthema.
Die visuelle Erforschung der Beziehung zwischen Innen und Außen, zwischen weiblicher Körperempfindung und patriarchal entfremdetem Körperausdruck führte in New York auch zu dem Wunsch, den Bilderfluss, der hinter jeder statischen Zeichnung verborgen ist, zu verlebendigen. Im Leihhaus erstand Maria Lassnig eine 8-mm-Kamera, später eine 16-mm-Kamera, in Workshops entdeckte sie Stop-Motion und andere filmische Animationsmethoden, zu Hause bastelte sie sich einen Tricktisch und legte los. Sie schuf Kurzfilme wie »Chairs«, in dem sich ein Bauhaus-Stuhl in einen menschlichen Körper verwandelt, »Couples«, eine »Beziehungstragikomödie« unter abstrakt gezeichneten Comicstrip-Figuren, Art Education, die gezeichnete Umdeutung patriarchaler Blick- bzw. Dominanzverhältnisse in Meisterwerken der Kunstgeschichte – insgesamt zehn Filme, die heute zu ihrem kanonischen Werk gezählt werden.
Inspiriert von ihren Freundinnen im feministischen Zirkel Women/Artists/Filmmakers jener New Yorker Jahre entstanden spielerisch-fantastische Experimentalfilme, die völlig freihändig Realfilm und Animation mischten und mit Lieblingsmusiken aus ihrem Plattenschrank und listigen eigenen Narrationen vertont wurden. Seit der Vorführung im Arsenalkino während Lassnigs DAAD-Stipendium 1978 in Berlin gilt dieses von ihr selbst fertiggestellte und vom österreichischen Avantgarde-Verleih sixpackfilm vertriebene Filmwerk als kanonisch.
1980 für eine späte Karriere als Akademie-Professorin und gefeierte Malerin nach Wien zurückgekehrt, gab Maria Lassnig die »Kunstsparte Film« auf. Ausnahme ist die mit Hubert Sielecki gedrehte, 1992 im Wettbewerb der Berlinale gezeigte und auf Youtube verfügbare »Maria Lassnig Kantate«, eine karnevaleske Moritat der damals 73-Jährigen über die Untiefen ihrer Künstlerinnenexistenz.
Das jetzt erschienene Buch fußt jedoch auf viel mehr filmischen Fundstücken. Aus dem Nachlass der 2014 verstorbenen Künstlerin rekonstruierten Mara Mattuschka und Hans Werner Poschauko, zwei Ehemalige aus ihrer verschworenen Akademie-Klasse, im Auftrag der Maria-Lassnig-Stiftung eine Reihe von »Films in Progress«, die die Künstlerin in einem Koffer voller Filmstreifen, Ideennotizen und Montageskizzen aus Amerika mitgebracht hatte.
Die beigefügte DVD präsentiert 16 kurze Stücke von erstaunlicher Lust an Themen und Formen. So filmte die Künstlerin in ihrer Nachbarschaft in der Lower Eastside die Szenerie historisch gekleideter Komparsen bei den Dreharbeiten zu Francis Ford Coppolas The Godfather, beschäftigte sich mit dem Verhältnis ihrer Künstlerfreundin Iris zu ihrem Hund und porträtierte Soulsisters, Freundinnen, die ihren Körper selbstbewusst feiern, würdevoll ihrer harten Arbeit nachgehen, Handwerkskunst kreieren oder dies alles aus Liebe zu einem Mann eben nicht schaffen, ihr aber trotzdem stark erscheinen.
Das Buch beschreibt Maria Lassnigs Bedeutung für die Kulturgeschichte der Filmavantgarde zwischen Wien und New York, es macht die eigenwilligen Entstehungsprozesse ihrer Filmideen anhand ihrer faksimilierten Notizen kenntlich, und es stellt in liebevoll durchgearbeiteten Einzelbeiträgen alle Ergebnisse ihrer zehnjährigen Leidenschaft für das Undergroundkino in den Zusammenhang ihres Gesamtwerks.
Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko (Hg.): Maria Lassnig. Das filmische Werk. Österreichisches Filmmuseum/Synema – Gesellschaft für Film und Medien, Wien 2021. 191 S., 24 €
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