Mediathek: »Die Meute«

»Die Meute« (Staffel 1, 2019). © Fremantle International Distribution / Fabula

»Die Meute« (Staffel 1, 2019). © Fremantle International Distribution / Fabula

In der Schule fängt es an

Krimiserien mit Frauen in der führenden Ermittlerrolle folgen oft einem gewissen Muster. Beispielhaft abzulesen an Produktionen wie »Transit – Brücke in den Tod« oder auch »Kommissarin Lund – Das Verbrechen«. Deren Hauptfiguren sind exzellente Polizistinnen. Sie müssen es sein. Nur Frauen mit weit überdurchschnittlichen Leistungen wird in solchen Serien zugestanden, eine herausgehobene Position einzunehmen. Andere bleiben Randfiguren.

Die chilenische Serie »Die Meute« (La Jauría) steht in auffälligem Kontrast zu diesem Modell. Angesichts oft reißerischer Pre-Title-Sequenzen mag deren verhaltener Auftakt irritieren: Eine junge Frau stellt sich einem Kameratest. Der Mann hinter der Kamera, Leiter der Schultheatergruppe, bittet um Darstellung verschiedener Gemütslagen, drängt sie mählich in Richtung sexuell aufreizenden Verhaltens. Die Schülerin fühlt sich zusehends unbehaglich. Draußen bricht sie in Tränen aus. Das Bild ist in schmutziges Türkis getaucht, verhalten dräuende Musik stützt die Stimmung.

Nach diesem Vorspiel wechselt die Tonart. Die Polizistin Olivia Fernández (Antonia Zegers) setzt ihren Sohn Gonzalo (Clemente Rodríguez) vor dessen Schule ab, beobachtet noch, wie er von Mitschülern molestiert wird. Sie misst dem wenig Bedeutung bei, wird auch abgelenkt. Die Kollegin Carla Farías (María Gracia Omegna) bestellt sie telefonisch an einen möglichen Tatort. Auf den ersten Blick nur ein Einbruch in eine Lagerhalle. Aber die Überwachungskamera hat die Eindringlinge erfasst. Fünf vermummte Personen, eine davon eine entführte Frau. Es handelt sich um Blanca Ibarra (Antonia Giesen). Sie besucht dieselbe katholische Schule wie Gonzalo Fernández, ist die Tochter des dortigen Studienleiters und Wortführerin einer Gruppe von Schülerinnen, die gegen das Fehlverhalten des Schauspiellehrers protestieren. Auch gegen die offene Frauenfeindlichkeit von Mitgliedern der Rugbymannschaft. Die Sportler genießen Privilegien und die Protektion der Schulleitung. Die meisten stammen aus einflussreichen Familien.

Blanca ist seit dem Vortag verschwunden. Im Web erscheint das Video einer Massenvergewaltigung, aufgenommen in der besagten Lagerhalle. Dann wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Der Fall zieht immer weitere Kreise. Die revoltierenden Schülerinnen greifen zur Selbsthilfe. Blancas Schwester Celeste (Paula Luchsinger) nimmt selbst Ermittlungen auf. Sie wird sich in Lebensgefahr bringen. Olivia Fernández bekommt mit Elisa Murillo (Daniela Vega) eine ungeliebte Kollegin zur Seite gestellt. Murillo hat selbst sexuellen Missbrauch erfahren, agiert hartnäckig und unnachgiebig. Olivia Fernández widersetzt sich den Versuchen ihrer Vorgesetzten, den brisanten Fall vorzeitig abzuschließen.

Die Autor:innen konzentrieren das reale Phänomen der bis zur Gewaltanwendung misogynen sogenannten »Incels« in einem Online-»Spiel«, das auf unsichere, erfolglose, labile Männer abzielt und die frauenfeindlichen Akte mit jeder neuen Herausforderung weitertreibt. Auch Gonzalo, der Sohn der Ermittlungsleiterin, dem Einsamkeit und das Gefühl der Hilflosigkeit zu schaffen machen, erliegt der Versuchung.

Aber die Autor:innen haben für Frauen nicht nur Opferrollen vorgesehen. Die im Wortsinn schlagkräftigen Ermittlerinnen agieren offensiv, Schülerinnen begehren auf. Andererseits stecken Frauen hinter den Bemühungen, die widerwärtigen Verbrechen ihrer Söhne zu vertuschen. So schlicht die Strukturen erscheinen mögen – überwiegend positiv das weibliche Verhalten, Männer neigen zur dunklen Seite –, erzielen die Autor:innen doch epische Diskursivität. Eindeutige Simplifizierung vermeiden sie durch ausgefeilte, oft gebrochene Charaktere sowie genau beobachtete psychosoziale Fehlentwicklungen, die beileibe nicht auf Chile begrenzt sind.

Das Konzept zu »Die Meute« stammt von Sergio Castro und Enrique Videla, die Endfassung von der serienerprobten Lucía Puenzo. Ungewöhnlich für europäische Verhältnisse: Für jede Episode zeichnet ein vierköpfiges Regiekollektiv verantwortlich.

OmeU-Trailer

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