Kritik zu One Hour Photo
Auf neuem Terrain: Robin Williams in einer abgründigen Charakterstudie
Regungslos im Dunkeln sitzen. Unerkannt, selbst unsichtbar einen Blick auf andere Menschen und ihr Leben werfen. Anteil nehmen an ihrem Glück und ihren Sorgen. Was dem Kinozuschauer nur allzu vertraut scheinen muss, bildet im Thriller One Hour Photo den Ausgangspunkt für eine zunehmend wahnhafte Besessenheit. Seymour "Sy" Parrish (Robin Williams) arbeitet tagaus, tagein im Fotolabor einer großen amerikanischen Supermarktkette. Ein Privatleben hat der unauffällige, kontaktscheue Mann nicht, dafür verfolgt er das seiner Kunden. Perfekt und hingebungsvoll entwickelt er ihre Fotos und erlebt mit, wie Hochzeiten gefeiert und Kindergeburtstage begangen werden.
"Wenn wir durch ein Fotoalbum blättern, sehen wir eine Zusammenfassung der glücklichen Momente unseres Lebens. Niemand macht Fotos von Dingen, die er lieber vergessen will." Das erzählt Seymour Parrish gleich zu Beginn im Verhörzimmer der Polizei: Der nette Einzelgänger muss eine Grenze überschritten haben.
Die Geschichte entfaltet sich in der Klammer einer langen Rückblende, und dieser sonst abgedroschene Kunstgriff verhilft dem Film zu einer stetig steigenden Spannungskurve. Wir sind gezwungen, Sy von Anfang an als tickende Zeitbombe zu sehen, die früher oder später explodieren muss, obwohl zunächst nichts in seinem Verhalten auf eine gewalttätige Wendung hindeutet. Böse Absichten hegt Sy keine. Der vereinsamte Mann sucht Anschluss, Bestätigung, ein bisschen Zuneigung. Die Yorkins, vor allem Nina Yorkin und ihr kleiner Sohn Jake, sind dabei zu seiner Ersatzfamilie geworden. Als Onkel Sy imaginiert er sich mit unter den Weihnachtsbaum einer scheinbar glücklichen Bilderbuchfamilie.
Gefährlich wird es erst, wenn der stille Teilhaber wirklich zum Teil "seines" Bildes werden will, wenn die einsame Phantasie nicht mehr genügt. Schon der Serienmörder in Thomas Harris' Roman "Roter Drache" (1986 meisterhaft adaptiert von Michael Mann und demnächst neu verfilmt im Kino) arbeitete im Filmentwicklungslabor und studierte die Home-Movies der Familien, die er als nächste Opfer ausgesucht hatte. Der Blick des Voyeurs hat zwangsläufig auch eine aggressive Komponente. Er dringt in die Intimsphäre anderer ein und genießt seine geheime Macht, die Ahnungslosigkeit derer, die sich unbeobachtet wähnen. One Hour Photo weist indirekt, rein visuell, auf Sys unterdrücktes Bedürfnis nach Macht und Kontrolle hin. Das Fotografieren und die Arbeit im Fotolabor werden in überhöhten, fast fetischistisch aufgeladenen Großaufnahmen gezeigt. Fasziniert gleitet der Blick über die makellosen Oberflächen der technischen Apparate.
Um diese Gefährlichkeit glaubhaft zu machen, muss Robin Williams nicht einmal gegen seine Standardrolle als harmlos-schrulliger good guy anspielen. Der Film macht sich das etablierte Image vielmehr geschickt zunutze. Die Abgründe der Figur müssen (zunächst) in der Phantasie des Zuschauers entstehen. Dazu passt die physische Zurückhaltung, die Williams seiner Figur auferlegt. Nach zehn Filmminuten ist der grimassenschneidende Stand-up-Comedian, der selbst in seinen dramatischen Rollen immer wieder durchschien, vergessen. Die unscheinbaren Blicke und kleinen Gesten dagegen bleiben in Erinnerung.
Am Ende steht kein klischeebeladenes Finale mit Blut und Hackebeil. Der subtile Ton, den One Hour Photo anschlägt, bleibt bis zum Schluss erhalten. Regisseur Mark Romanek selbst stellt seinen Film in die Tradition von Taxi Driver und anderen Filmen der siebziger Jahre, die sich mit dem gewalttätigen Scheitern männlicher Verlierertypen beschäftigen. One Hour Photo zeigt, wie durch mediale Bilder, in denen sich Wunsch und Wirklichkeit vermischen, ein Glücksanspruch entsteht, der zum unerreichbaren Ideal mutiert. Gepaart mit moralischer Selbstgerechtigkeit mündet dies in hilflose Gewalt. Sy will die Yorkins zu genau dem Glück zwingen, das in ihren Familienfotos beschworen wird. Nennen wir es eine Zeitdiagnose oder, bescheidener, Sozialkritik - mit der routinierten Küchenpsychologie des gewöhnlichen Psychothrillers hat es wenig gemein.
Mark Romanek kommt, wie viele neue Talente des US-Kinos, von der Werbung und vom Videoclip. Seine morbid durchgestylten Videos für die Industrialrocker Nine Inch Nails gehören längst zum festen visuellen Repertoire der Clipkultur. Zusammen mit Kameramann Jeff Cronenweth (Fight Club) gelingen ihm brillante Bilder, die das Thema weniger illustrieren als vielmehr erst entstehen lassen. Auch der Film zelebriert das Familienglück der Yorkins, wird also selbst zum Symptom der Krankheit, von der er erzählt, und macht sich Sys Standpunkt unmerklich zu eigen. Der warmen, irritierend heimeligen Familienwelt der Yorkins steht Sys klinisch-aseptische Wohnung gegenüber, entkernt von allem Privaten und Persönlichen. Der strahlend weiße Supermarkt hingegen wird zu einem irrealen Ort der Einsamkeit und trügerischen Oberfläche. "Check your smile!" steht über dem Spiegel der Angestellten. Die endlosen Regalreihen, gefilmt in penibel symmetrischen Einstellungen, gefüllt mit schreiend bunten Waren, könnten einem Albtraum Andy Warhols entstammen.
Kommentare
Mark Romanek, der eigentlich
Mark Romanek, der eigentlich aus der Ecke der Musikvideos kommt, hat sich hier an eine Psychostudie eines einsamen Außenseiters gewagt und mit Robin Williams (Sy) einen hervorragenden Hauptdarsteller gefunden. Der outet sich als Moralapostel, der Ehebruch und Kindsmissbrauch anprangert. Das hat er wohl selbst als Kind erfahren.
Sy, der überaus freundliche Foto-Entwickler aus dem Supermarkt freundet sich mit Familie Yorkin an: mit Will (Michael Vartan), Nina (Connie-Gladiator-Nielsen) und dem kleinen Jake. Er gehört fast zur Familie, träumt sich in ihr Haus, liest die gleichen Bücher wie Nina und beschenkt Jake. Von allen Fotos der Familie macht er Abzüge für sich. Als das auffliegt wird er entlassen. Zuvor hatte er aber noch den Seitensprung von Michael auf einem Foto entdeckt. Sy folgt ihm ins Hotel und zwingt ihn vor seiner Kamera zum Sex mit seiner Freundin. Ermittlungen laufen. Es wird etwas spannender. Als die Polizei Sy verhaftet und ihm seine Bilder (offenbar die von Michael mit Freundin!) vorlegt, sieht man nur Heizungen und Handtuchhalter. Hat sich Sy also alles nur eingebildet? Dann waren es auch seine Albträume, in denen Blut aus seinen Augen floss. (Ein Schocker!). War Sy etwa nur ein harmloser Stalker?
Der Anfang des Films ist durchaus überzeugend, auch die Durchführung wirkt glaubhaft, nur gegen Ende als es an den Ursprung und die Auswirkungen von Sys Krankheit geht, bleibt der Film etwas kryptisch und das beunruhigt, weil Williams so überzeugend agiert hat. Er leidet, ist depressiv und furchtbar einsam. Heute ein weit verbreitetes Phänomen.
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