Nachruf: Michael Apted
Michael Apted am Set von »James Bond 007 – Die Welt ist nicht genug« (1999)
Der Physiker Nick wäre lieber als Wissenschaftler berühmt geworden und nicht wegen eines Fernsehprogramms. Der Taxifahrer Tony hingegen, der eigentlich Jockey werden wollte, genoss seine Prominenz. Einmal wurde er um ein Autogramm gebeten – aber nicht um das seines illustren Fahrgastes Buzz Aldrin, immerhin der zweite Mann auf dem Mond, sondern um sein eigenes.
Die Serie, in der sie auftraten, war ein Wunder der Familiarität. Nick, Tony und die zwölf weiteren Protagonist:innen von »Up« waren dem britischen Fernsehpublikum beinahe so vertraut wie Nachbarn, Freunde oder Verwandte. Gleich mehrere Generationen wuchsen mit ihnen auf, hatten Teil an ihren Hoffnungen, Wünschen, Erfolgen und Enttäuschungen. 1964 standen sie erstmals vor der Kamera und von da an alle sieben Jahre wieder. Michael Apted hatte die Serie nicht erfunden, es war auch nicht seine Idee, sie fortzusetzen. Aber dank jener Hartnäckigkeit, die seine großen Kinocharaktere auszeichnete, hielt er sie fast sechs Jahrzehnte lang am Leben. Er prägte sie mit seiner alle sieben Jahre frisch geweckten Neugier, seiner ermunternd fragenden Stimme und dem wachen Blick auf den Wandel der Gesellschaft. Die soziologische Verve dieser Langzeitbeobachtung lässt sich allenfalls mit der »Kinder von Golzow«-Saga vergleichen. Als Phänomen der Publikumsbindung hatte »Up« im britischen TV nur ein Pendant: den Dauerbrenner »Coronation Street«, bei dem Apted in den 60ern erste Erfahrungen als Regisseur sammelte.
Für die Haltung, die seine Filme prägte, machte er seine Mutter (»eine Sozialistin reinsten Wassers«) verantwortlich. Dass er Jura und Geschichte studiert hatte, war nicht vergeblich im Hinblick auf seine Karriere. Diese könnte allerdings kaum vielgestaltiger sein. Es verschlug den gelernten Dokumentaristen auch mal in die »Bond«- und die »Narnia«-Universen. Einer, der so unterschiedliche Dinge machte, musste sich selbst schon sehr genau kennen.
Im britischen Kino debütierte er 1972 mit dem Zeitgeschichtsdrama »Das dreifache Echo«, zwei Jahre später eröffnete er mit »Stardust« eine Seitenlinie von Musikfilmen, die er später auch dokumentarisch fortsetzte (»Bring on the Night«, 1985). Mit »Das Geheimnis der Agatha Christie« weckte er 1979 internationale Aufmerksamkeit; Besetzung (Dustin Hoffman) und Ästhetik (Kamera: Vittorio Storaro) demonstrierten seinen Ehrgeiz, über den britischen Tellerrand hinauszublicken. Sein Hollywooddebüt »Nashville Lady« (Coal Miner's Daughter), die Biografie der Countrysängerin Loretta Lynn, war ein Jahr darauf ein enormer Kassenerfolg. Der Brite war keine schlechte Wahl für diese uramerikanische Geschichte: Lynns Herkunft aus der armen weißen Bevölkerung der Appalachen sprach sein Gespür für Klassenzugehörigkeit und -überwindung an. Seitdem erkundete er mit der gleichen Neugier die Natur- und urbanen Landschaften der USA, wechselte mit schöner Regelmäßigkeit zwischen Großstadt- und Hinterlandgeschichten. Den aufmerksamen Blick des Fremden legte er dabei nicht ab. Als gelernter Dokumentarfilmer bestand er darauf, die Realschauplätze vor den Dreharbeiten kennenzulernen, um sich sodann in unterschiedliche Gegenden und Milieus einfühlen zu können. Er bewahrte sich die Hoffnung, die atemberaubenden Ansichten von Architektur und Naturkulissen würden ihm Aufschluss geben über Wesen und Konflikte der Bewohner.
Fortan musste man eigentlich nie die Sorge haben, das Hollywoodsystem würde ihn – abgesehen von seinem Respekt vor dessen Erzählkonventionen – korrumpieren. Als Europäer in den USA zu arbeiten, wird für ihn kein dramatischer Kulturschock gewesen sein. Es hatte schließlich Tradition und war in seinem Fall eine tragfähige Entwurzelung. Diese Grundbedingung seiner Arbeit schlug sich gleichwohl in der Thematik vieler Filme nieder: Das Motiv der Begegnung mit dem Fremden variierte er in den unterschiedlichsten Genres, der Screwball-Comedy (»Zwei wie Katz und Maus«, 1981, nach einem Drehbuch von Lawrence Kasdan), dem Politthriller (»Gorky Park«, 1983), dem anthropologischen Biopic (»Gorillas im Nebel«, 1988), dem Polizeifilm (»Halbblut Thunderheart«, 1992) und schließlich dem aufklärerischen Melo (»Nell«, 1994), wo es Apted nie zu einer wirklichen Harmonisierung von Natur und Zivilisation kommen lässt. Vielmehr gerät ihm die Begegnung eines scheuen, ungezähmten Waisenkindes (Jodie Foster) mit einem Arzt (Liam Neeson) und einer Psychologin (Natasha Richardson) zu einer Reflexion über die Bedingungen von Kommunikation, über Spielräume und Vokabular, die sich zwischen Menschen entwickeln können. Apted war auch ein hingebungsvoller Übersetzer.
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