Streaming-Tipp: »The Prom«
Wer erinnert sich nicht an den eigenen Abschlussball, je nachdem mit einer gewissen Nostalgie oder womöglich auch einem leichten Schaudern. Emma (Jo Ellen Pellman) will in ihrer Kleinstadt in Indiana an diesem Abend mit ihrer Freundin als Tanzpartnerin kommen und bringt damit einen Großteil der Schule gegen sich auf. Prompt wird der »Prom« gleich ganz abgesagt, um einen »Homoball« zu verhindern. Aber es ist auch das Jahr 2020 und so rückständig und bigott man in dem Kaff auch sein mag, bleibt die Sache dank Twitter und sozialer Medien nicht ohne öffentliche Empörung.
Die erreicht schnell auch eine Gruppe narzisstischer Broadwaystars im weit entfernten New York, deren Musical »Eleanor!« über die frühere First Lady gerade kolossal verrissen wurde und die nun ihre Chance wittern, mit der diskriminierten Landlesbe ein bisschen positive Presse in eigener Sache zu bekommen. Also machen sich die Diva Dee Dee Allen (Meryl Streep), ihr schwuler Kollege Barry Glickman (James Corden), die pegeltrinkende Angie Dickinson (Nicole Kidman) und eine ganze Entourage auf den Weg, um den Hillbillies mal eben Nachhilfe in Sachen LGBTQ-Diversität zu geben. Hurra, Celebrityaktivismus! Doch dort angekommen, stellen die Selbstdarsteller schnell fest, dass in dem Städtchen niemand auf ihre Lektion gewartet hat, nicht mal der wohlgesinnte schwarze Schulleiter (Keegan-Michael Key) und schon gar nicht die erzkonservative Mutter Mrs. Greene (Kerry Washington).
Die weiter an Fahrt aufnehmende Handlung ist nicht weiter komplex oder überraschend, die Stärken von Ryan Murphys Filmmusical »The Prom« liegen anderswo. Er inszeniert mit einem glänzend aufgelegten Cast eine überdrehte Feier des Eigensinns, die vehement für bunte Vielfalt und Diversität eintritt und bei der so ziemlich alle ihr Fett abbekommen. Dabei setzt er gekonnt auf schillernden Camphumor, der es letztlich dem Blick des Zuschauers überlässt, ob er etwa eine Tanznummer von Nicole Kidman, in der sie Bob Fosses »Zazz« demonstriert, großartig oder peinlich findet oder beides zugleich. »The Prom« basiert auf einem Originalbroadwaystück und die Lyrics kommentieren immer wieder brillant mehrdeutig und ironisch das Geschehen, Spiel- und Tanzszenen gehen dabei sehr organisch und elegant ineinander über. Trotzdem scheiden sich seit dem Start am 11. Dezember an »The Prom« die Geister; so mancher freudlose Kritiker fühlte sich bemüßigt, »langweilige Gesinnungsgräben« und »überzeichnete Karikaturen« zu monieren. Und wie im Plot hat auch der Film selbst seinen eigenen kleinen Twittershitstorm generiert, weil der schwule Barry von einem Hetero gespielt wird. Murphy dürfte als queerer Diversitätsadvokat des US-Fernsehens (»Pose«, »Ratched«) seine helle Freude daran haben, wie gut sein schräger Besetzungscoup die Interneterregungsblase triggert. Allen anderen bietet »The Prom« jedenfalls höchst vergnügliche, mitreißende und berührende zwei Stunden.
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