Kritik zu Maternal

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Die Italienerin Maura Delpero erzählt in ihrem Regiedebüt von der Begegnung zwischen jungen Müttern und einer jungen Novizin in einem Zentrum für ledige Mütter in Buenos Aires

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Die Kontraste in den ersten Einstellungen von »Maternal« könnten kaum größer sein: zwei junge Frauen im Badezimmer. Die eine, Lu (Agustina Malale), bemerkt beim Pinkeln Haare an ihrer Scham, wo keine hingehören, denn sie ist abends verabredet. »Gib mir die Pinzette«, sagt sie zur ruhigeren Fati (Denise Carrizo). Hier losgelöste, vor allem von Lu nach außen posaunte Weiblichkeit, viel Haut, Schminke und Musik. Dort die nonnenhaft weiß strahlende Unschuld der jungen Schwester Paola (Lidiya Liberman). Sie ist nach Buenos Aires gekommen, um ihr Noviziat in dem Hogar, jenem religiösen Zentrum für jugendliche Mütter, in dem Lu und Fati leben, zu beenden. »Wer Gott hat, hat alles«, steht unter einem Bild mit der Mystikerin und Karmelitin Teresa von Avila, das Paola aufhängt.

Natürlich geht es in Maura Delperos Spielfilmdebüt um das Aufeinanderprallen dieser Welten: der säkularen und der spirituellen. Laut ist ihr Film dennoch nicht geworden. Das knalligste und aufgedrehteste in »Maternal« ist Lu, diese trotzige Lebefrau auf der Suche nach dem Mann fürs Leben und vor allem nach sich selbst. Sie liebt ihre Tochter Nina, doch anstatt sich der mütterlichen Verantwortung zu stellen, zieht sie los, um ihre neue Liebe zu treffen. »Er hat mich auf dem Bahnhof gefickt«, stolzer Blick Richtung Fati. Die beiden 17-jährigen Mütter teilen sich ein Zimmer.

Mit ruhigen, empathischen Bildern zeigt Kamerafrau Soledad Rodriguez das Treiben in dem Hogar. Die Sonne strahlt durch die Gänge und lässt die weißen Trachten der Nonnen noch weißer leuchten. Die Glaubensschwestern kümmern sich um die Babys und bringen den älteren Kindern christliche Werte näher. Etwa das Ideal der »Modellfamilie«: Maria, Josef, Jesus – Mutter, Vater, Kind. Wie eine verstaubte Idee begleitet diese Trias den Film, der bevölkert ist von allein gelassenen Müttern und ihren Kindern. Männer tauchen überhaupt nicht auf, nur ganz am Ende einmal, in einer Szene im Vorbeigehen. 

»Maternal« ist ein Film der Frauen, genauer: ein Film über das Muttersein und die Mutterwerdung. Denn mit Lus Verschwinden wird Paola zu so etwas wie einer Ersatzmutter für Nina, was die Glaubensschwestern als Pflicht im Sinne einer »spirituellen Mutter« lesen. Doch was, wenn doch nicht alles hat, wer Gott hat? Es ist diese Frage, die schließlich mit Paola ins Zentrum des Geschehens rückt. 

Delpero, die auch das Drehbuch geschrieben hat, gelingt ein leise-eindrückliches Debüt. Getragen von ihrem fantastischen Hauptdarstellerinnentrio, von der energiegeladenen Agustina Malale ebenso wie von der einnehmenden Ruhe von Denise Carrizo und Lidiya Liberman, wächst »Maternal« zu einem vielschichtigen, dichten Porträt der Weiblichkeit. Die dokumentarfilmische Vita der aus Italien stammenden und in Buenos Aires ausgebildeten Regisseurin brennt sich produktiv in ihren ersten Spielfilm, denn ihre Kinematografie bleibt vorurteilsfrei und nüchtern. Am Ende stehen ein schweigendes Einvernehmen und viel Ungewissheit.

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