Die im Schatten sieht man doch
Als Nora Ephron vor zwei Jahren starb, war ich froh, dass keine Zeitung bei mir um einen Nachruf anfragte. Ich hätte beim besten Willen nichts Gutes über sie zu sagen gehabt. Aber nach zwei Jahren ist die Schonfrist verstrichen und die Zeit gekommen, die Dinge beim Namen zu nennen.
Nun soll dem „Hollywood Reporter“ zufolge ein unvollendetes Drehbuch von Ephron verfilmt werden. Die TV-Komikerin Carrie Brownstein, ursprünglich Frontfrau einer Indie-Rockband, will die Geschichte über eine New Yorkerin, die es in das England Jane Austens verschlägt, fertig schreiben. Der Star der Serie „Portland“ ist mir zugegebenermaßen unbekannt. Sam Mendes jedenfalls konnte sie als Produzenten gewinnen. Ich habe keine Ahnung, was davon zu erwarten ist. Mich intrigiert vielmehr die postume Logik des Projekts. Die Idee, in die Schuhe einer Anderen, Berühmteren zu treten, verkörpert in einer Nussschale das Phänomen Nora Ephron. Der ursprüngliche Impuls ihres Schaffens scheint mir die Lehnprägung, das smarte Plagiat zu sein. Es empört mich noch heute, dass sie in weiten Kreisen (auch solchen, die es besser wissen sollten) als geistreich gilt.
Zum ersten Mal begegnete ich ihrem Namen in William Goldmans Buch „Das Hollywood-Geschäft“. Sie war mit Carl Bernstein liiert, einem der beiden Watergate-Enthüller und meldete den Anspruch an, am Drehbuch zu „Die Unbestechlichen“ mitzuarbeiten. Das verdross Goldman, den eigentlichen Szenaristen natürlich enorm. Ephron mochte diese Einmischung vielleicht als eine Art Geburtsrecht wahrnehmen. Ihre Eltern, Henry und Phoebe Ephron, waren Bühnen- und Drehbuchautoren einiger mittelprächtiger Musicals. Deren Lebenserinnerungen „We thought we could do anything“ sind, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, recht launig. Den Titel nahm die Tochter womöglich als Maxime. Auf jeden Fall bewegte sie sich in den richtigen Kreisen. Ich glaube, zu „Die Unbestechlichen“ durfte sie dann trotz der prinzipiellen Neugierde des Co-Produzenten Robert Redford doch nichts beitragen. Über ihre Ehe mit Bernstein schrieb sie später einen Roman, nach dem Mike Nichols einen sehr aufgeblasenen Filme drehte, „Sodbrennen“. Davor war sie Co-Autorin von Nichols' Kino-Comeback „Silkwood“, der mir immer mal wieder durch den Kopf geht, zumal wegen des großzügigen Einfallsreichtums, mit dem die Schurken gezeichnet sind - die Szene, in der Craig T. Nelson gegen Ende in Karen Silkwoods verlassener Wohnung auftaucht, ist großartig.
„Harry und Sally“ begründete dann maßgeblich Ephrons Ruhm als Drehbuchautorin. Ich hatte weniger Freude daran als das Gros meiner Kollegen. Die Originalität schien mir oberflächlich, der Humor hatte meiner Ansicht Woody Allens mehr zu verdanken, als sie und Regisseur Rob Reiner je zugeben würden. Aus meiner Perspektive hatten sich da ohnehin zwei Schicksalsgenossen getroffen: Der großsprecherische Reiner unternahm ja auch pathetische Anstrengungen, um aus dem Schatten seines damals noch berühmteren Vaters Carl zu treten. Ephrons nächste große Drehbucharbeit „My blue Heaven“ hat ihre Meriten (die Szene, in der Steve Martin als Gangster im Zeugenschutzprogramm einem ihn betreuenden Polizisten aus Gewohnheit Trinkgeld gibt, ist wirklich hübsch), im Kern war es die komödiantische Variante von „Goodfellas“, der wiederum auf einem Buch ihres zweiten Ehemanns Nicolas Pileggi beruht.
Bald darauf nahm ihre Regiekarirere an Fahrt auf. Auch dabei griff sie beherzt auf Erprobtes zurück: „Lifesavers“ beruht auf einer französischen Kultkomödie, „Email für dich“ ist ein Remake von Lubitschs „Rendezvous nach Ladenschluss“. Und was wäre „Schlaflos in Seattle“ ohne Leo McCareys „Die große Liebe meines Lebens“ (einer der tollsten Gag bezieht sich überdies auf einen anderen Film, „Das dreckige Dutzend“). In gewisser Hinsicht ist „Julie & Julia“ Ephrons ehrlichster Film: Da geht es um eine Frau, die die Rezepte einer anderen nach kocht.
Woher rührt diese gründliche Boshaftigkeit meinerseits? Vielleicht darin, dass ich keine erschlichenen Triumphe hinnehmen mag. Meinen Beruf kann ich ja auch nicht damit bestreiten, Geistesblitze und Formulierungen anderswo abzukupfern. In einer Filmzeitschrift sah ich in den 90ern mal ein entlarvendes Raster ihrer Vorbilder: Mein Argwohn ist also kein Alleinstellungsmerkmal. Dabei bin ich davon überzeugt, dass Ephron nicht nur smart, sondern tatsächlich sehr gescheit war. Einmal belauschte ich, als ich während des Festivals von Deauville auf einen Interviewpartner wartete, ein Gespräch, das sie mit einem englischen Kollegen führte. Es ging um „Schlaflos in Seattle“, den sie prächtig charakterisierte: „Harry Und Sally“ sei wie ein Sinatra-Album, das Nelson Riddle und „Schlaflos“ wie eines, das Gordon Jenkins produziert hat. Sie verstand genau, wovon sie sprach. Es ist mir nicht unbegreiflich, weshalb man sie geistreich hielt. Es empört mich vielmehr, dass sie von dieser Gabe so wenig Gebrauch machte.
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