Kritik zu Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d'Arc

englisch © Verleih

2017
Original-Titel: 
Jeannette, l'enfance de Jeanne d'Arc
Filmstart in Deutschland: 
25.12.2019
M: 
L: 
114 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Bruno Dumont verwandelt den Stoff der französischen Nationalheiligen in ein Pop-Musical. Das Amateurhafte ist gewollt

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Ein Idyll, zu schön, um wahr zu sein. Unter einem strahlenden, von dünnen Schleierwolken gesprenkelten Himmel schlängelt sich die Maas entlang sandiger Ufer und bewaldeter Hügel. Das satte Grün der Bäume, das helle Gelb des Sandes und das leuchtende Blau des Himmels fügen sich zu einem pastoralen Paradies zusammen, in dem natürlich die Schafe nicht fehlen dürfen. Und eben die werden von keiner Geringeren als der achtjährigen Jeannette gehütet, die wenige Jahre später als Jeanne d'Arc zur Kriegerin wird. Aber im Frühjahr 1425 ist sie noch ein kleines Mädchen.

Zunächst ist die kleine Jeannette in ihrem blassblauen Leinenkleid kaum mehr als ein weiterer Farbtupfer in der Landschaft. Nur ihr gesungenes Gebet, in dem sich Lobpreisung und Blasphemie auf schillernde Weise verknüpfen, durchbricht die idyllische Szene. Je näher sie der starr verharrenden Kamera kommt, desto lauter wird ihr nicht immer ganz tonsicherer Gesang. Schließlich steht sie direkt davor und blickt, den Bildkader weitgehend ausfüllend, direkt in die Kamera. Es ist ein selbstbewusster, herausfordernder Blick, der Gott ebenso gilt wie dem Publikum im dunklen Kinosaal.

Vergiss alles, was du über mich zu wissen glaubst, scheint dieser eindringliche und doch auch kindliche Blick von Lise Leplat Prudhomme zu sagen. Schon mit dieser ersten kleinen Szene wischt Bruno Dumont die etwa 100-jährige Geschichte der Jeanne-d'Arc-Darstellungen im Kino konsequent beiseite. Natürlich hat auch »Jeannette« Vorbilder. Aber die liegen eher bei Straub-Huillet als bei Dreyer oder Rivette. Dumont inszeniert nicht das Jahr 1425. Er behauptet es einfach. Ihm reichen die sich sanft erhebenden Hügel am Ufer, um in einer Landschaft jenseits von Vergangenheit und Gegenwart anzukommen, einer Landschaft, die zur Bühne für ein eigenwilliges Pop-Musical wird, in dem die 125 Jahre alten Dialoge aus einem Theaterstück von Charles Péguy auf die eklektische, von elektronischem Pop und Rock bis zu Hip-Hop und Speed Metal reichenden Kompositionen Igorrrs treffen.

Eigentlich passt hier nichts zusammen. Die linkischen, teils ungelenken Tanzbewegungen der Laiendarsteller lassen sich kaum mit Guillaume Deffontaines' exakt kadrierten und in magisches Licht getauchten Bildern vereinbaren. Die süßliche Camp-Ästhetik der Vision des kleinen Mädchens von drei Heiligen, die ihr im Wald erscheinen, kollidiert mit dem religiösen Furor, der Jeannettes Songs erfüllt. Die Liste der Widersprüche ließe sich fortsetzen, und genau darin liegt die Größe von Bruno Dumonts erster Annäherung an die französische Nationalheilige. Mit dieser Jeannette lässt sich weder ein katholisches Glaubensbekenntnis formulieren noch ein nationalistisches Programm rechtfertigen. Dumont stellt sich quer zu allen religiösen und politischen ­Instrumentalisierungen. Seine Jeannette ist einfach ein Mädchen, das auf seine ganz eigene Weise nach Antworten auf das Leid der Menschen und das Schweigen Gottes sucht. Wenn sie singt und tanzt, wirkt das zwar amateurhaft, aber eben auch absolut wahrhaftig.

[ab 2.1.2020 im Kino: »Jeanne d'Arc« (2019) über die Jahre ab 1430]

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