»Game of Thrones: The Long Night« (S08E03)

Foto: © HBO

Und es hat Klirr gemacht

Winterfell ist gefallen. Ein amoklaufender Eisdrache mit halbem Kiefer setzt den Innenhof der Burg mit seinem blauen Feuer in Schutt und Asche. Zombies strömen durch die Hallen und Gänge, um die letzten Spuren von Leben auszulöschen. Unsere Helden stehen mit dem Rücken zur Wand, die Untoten nur einen Biss von ihrer Kehle entfernt. Wer bereits einen dramatischen Heldentod gestorben ist, steht nun mit blauen Augen in die Reihen des Night King. Unter der Erde sieht es nicht besser aus: Wiedererweckte Stark-Kadaver terrorisieren Frauen und Kinder. Widerstand ist zwecklos. Eine zurückgenommene, eiskalte Klaviermelodie setzt ein – ähnlich dem legendären Light of the Seven-Stück aus »The Winds of Winter« verheißt Ramin Djawadis Tastenspiel nichts Gutes. Der Tod ist nach Winterfell gekommen, der Night King setzt Fuß in den Godswood. Langsam, ganz langsam nähert er sich Bran. Klavier und Streicherläufe schrauben sich zum endlos retardierenden Spannungsmoment hoch; die Aufregung, sie ist kaum mehr zu ertragen. Der Night King greift zu seinem Eisschwert. Und dann kommt er, der alles besiegelnde Schlag und erlöst den Zuschauer aus seiner 70-minütigen Verkrampfung.

Klirr. Aus dem Nichts springt Arya mit gezückter valyrischer Klinge ins Geschehen. Mit einer kleinen Finte rammt sie Littlefingers Dolch in die Brust des Night Kings – genau in die Stelle, an der die Children of the Forest den First Man mit einem Stück Drachenglas zum First White Walker verwandelten. Der Night King zerspringt in tausend Teile. Was? Auch die anderen White Walker tun es ihm gleich und zerfallen zu Eisstaub. Moment mal. Viserions Eisfeuer-Atem versiegt, das Ungetüm fällt in sich zusammen. Sämtliche Wiedergänger klappen wie Marionetten zusammen, die man von ihren Fäden löste. Was passiert hier? Die Lange Nacht ist vorüber, so schnell, wie sie begonnen hatte. Leben triumphiert über Tod, Feuer über Eis. Das war`s?

Klirr. Mit dem Tod des Night Kings durch Aryas Hand zerspringen geduldig aufgebaute Zuschauererwartungen, Jahre bis Jahrzehnte des Spekulierens und Fantasierens, der detektivischen Zeichendeutung und intensiven Relektüre sowie tausend Stunden YouTube-Fan-Theorien in alle Einzelteile. Ein überaus mutiger Schlag der Serie, gegen jede Vorhersage und dadurch überaus wirkungsvoll. Nicht umsonst fühlen sich viele Zuschauer an einen ähnlich unvermittelten Schurkentod aus »Star Wars: Die letzten Jedi« erinnert und reagieren mit der gleichen Mischung aus Enttäuschung und freudiger Überraschung. Seit der ersten Szene der ersten Folge als große Bedrohung eingeführt, sind die White Walker doch nicht Teil des großen Finales, sondern nur eine weitere Ablenkung, ein Krieg unter vielen, statt der Große Krieg, um alle Kriege zu beenden. Perplex, gespannt und mit leichter Skepsis schaut man auf die verbleibenden drei Folgen: Was kommt denn da noch?

Klirr. Das Einde von »The Long Night« ist ein unerwarteter Sieg, auf den nach über einer Stunde zermarternder Schlacht und einer abschiedsreichen Folge zuvor noch kaum jemand zu hoffen wagte. Obwohl viel gestorben wurde – Danys Armee ist praktisch nicht mehr vorhanden – halten sich die Verluste unter den Hauptfiguren in Grenzen. Und wenn dann doch der Tod kam, so war er heldenhaft, glorreich, versöhnlich. Ser Jorah verteidigt seine khaleesi unter Einsatz seines Lebens. Theon findet Erlösung in seinem Tod für Bran. Und die kleine Lady Mormont bringt selbst im Todesgriff eines untoten Riesen ihr monströses Gegenüber zu Fall. Kein nüchterner Realismus, sondern Poetik steuert den Kurs der Erzählung. Dieser Sinn für vollendete Geschichten wirft einmal mehr die großen Fragen der Staffel auf Was ist, wenn die größte Überraschung von »Game of Thrones« ein tatsächliches Happy End für alle ist? Vor allem: Wäre es wirklich so verkehrt?

Wie versprochen wurde »The Long Night« unter der Regie von Michael Sapochnik ein visuelles Feuerwerk. Die Folge eröffnet mit einem tracking shot. Drachenglas landet in Sams zittrigen Händen, ein Gesicht kommt von der Seite: Move. Die Kamera folgt den unsicheren, verängstigten Schritten des (ehemaligen?) Bruders der Nachtwache. Er passiert Lady Lyanna Mormont, die letzte Befehle bellt, und Tyrion, an dem die Kamera haften bleibt. Die Hand der Königin wappnet sich mit seinen eigenen Mitteln für die Schlacht: Wein. Mit kritischen Augen verfolgt er Bran, Theon und eine Horde mutiger Bogenschützen auf ihren Weg in den Godswood, bevor er seine endgültige Position in der Schlacht einnimmt – in der Krypta der Starks, abgestellt vom Geschehen und ohne wirklichen Nutzen.

Stimmungsvoll führen Sapochnik und sein Kameramann Fabian Wagner in die Folge ein. Wir sehen noch einmal, wo sich wer vor Beginn der Schlacht befindet. Tyrion ist unter Tage bei den Frauen Kindern, wie auch Varys, Missandei, Gillly und später Sansa. Auf der Brüstung steht Davos bei den Bogenschützen, an anderer Stelle überschauen Arya und Sansa die Verteidigung. Draußen vor dem Tor stehen Infanterie, Kavallerie und Artillerie bereit. Die Kamera fährt über die Fronten der versammelten Heere, wir sehen Brienne, Jaime und Pod an der linken Flanke, Tormund, Beric Dondarrion, Sandor Clegane, Gendry, Eddison Tollett und Sam bei den Wildlingen und restlichen Nachtwächtern. Grey Worm führt die Unsullied an. Die Speerspitze übernimmt Ser Jorah Mormont und Schattenwolf Ghost am Kopf der Dothraki-Reiterschar. Deren gebogene Schwerter werden von der unverhofft aufgetauchten Melisandre mit ihrer roten Magie entflammt. Jon und Dany haben sich mit ihren Drachen zurückgezogen und verfolgen alles aus der Ferne. Der Feind lauert unsichtbar in der nahenden Dunkelheit. Alles ist bereit.

Was sich danach entfesselt, ist ein enormer Strudel aus Hoffnung und Verzweiflung, Licht und Dunkelheit, der den Zuschauer für die nächste gute Stunde mitreißt und kaum Luftholen lässt. Mal chaotisch und unübersichtlich wie der Kampf der Drachen in nebligen Höhen. Mal wunderschön choreographiert wie der leuchtende Fackelzug der Dothraki-Krieger oder Aryas heimliches Schleichen durch die zombieverseuchten Gänge der Bibliothek. Oder einfach überwältigend wie das Hereinbrechen der Untoten über die Krieger wie ein unbezwingbarer Heuschreckenschwarm. Alles ist in Bewegung, so unaufhaltsam wie der Marsch der Toten ist die kinetische Kraft, welche die Bilder verbindet und von einer Situation zur nächsten springt. Aus der erschreckenden Weite des in Feuer, Schnee und Nebel gehüllten Schlachtfeldes zu den beklemmenden Gängen und verwinkelten Innenräumen der Burg, die in Finsternis und (un-)tote Körper gekleidet mehr unheimlich als heimlich wirken. Den beeindruckenden Massenszenen stehen kleine Momente gegenüber, etwa Melisandres entsetztes Gesicht, als die Entzündung der Verteidigungsbarrikaden beim Anrücken der Untoten nicht klappen will, oder ein verzweifelter Sam, der sich in einem Leichenberg den Tod mit letzten Kräften vom Leib hält.

»The Long Night« versetzt den Zuschauer in nicht enden wollendes Staunen wie auch Bangen. Es ist eine Glanzleistung nicht nur des Casts, sondern vor allem der Crew: Von der Stuntarbeit über die Bildkomposition, der Soundgestaltung, Kameraarbeit und Ausleuchtung bis zu den computeranimierten wie auch praktischen Spezialeffekten, fährt die Serie alles auf, was sie zu bieten hat. Das Ausmaß des Schauwertes übersteigt, was wir in Folgen wie »Blackwater«, »The Battle of the Bastards« oder »Beyond the Wall« bisher zu sehen bekamen. Und doch. Ist das Ergebnis noch so beeindruckend, der Zweck heiligt trotzdem nicht die Mittel. Kleine Unstimmigkeiten trüben den Gesamteindruck der Folge. Die Dothraki auf offenem Feld in ihr Verderben reiten zu lassen war ebenso ein unsinniger Schachzug wie die Familiengruft der Starks zur safe zone zu erklären. Das Jons offensichtlich zum Scheitern verurteilter Plan, den Night King aus der Reserve zu locken und umzubringen, am Ende trotzdem fruchtet, wirkte zum Rest der Folge antiklimatisch.

Wieder kommen die alten Kritikpunkte auf: Ohne George R.R.  Martins Buch-Vorlage hat die Serie an Raffinesse verloren. Valar morghulis, all men must die, hieß einmal die Regel des Spiels der Throne. Doch das Spiel ist schon länger gezinkt. Es sterben nur noch die, die erübrigt werden können. Alle anderen werden noch gebraucht, oder sind einfach die persönlichen Lieblinge, über die die Autoren ihre schützende Hand halten. Also war die Schlacht zwischen Eis und Feuer in »The Long Night« von Anfang an ein unausgewogener Kampf. Er war schon in dem Moment entschieden, als Benioff und Weiss sich vor etlichen Staffeln dazu hinrissen, dem übermächtigen Gegner in Form des Night Kings eine Gestalt zu geben, die es in den Büchern gar nicht gibt. Dadurch wird die unbezwingbare, unaufhaltsame Macht der White Walker, die für die Finalität und grausame Willkür des Todes selbst steht, mit einem Mal fassbar und somit bezwingbar. 

Bei all der Kritik darf man allerdings eine Sache nicht vergessen: »Game of Thrones« ist nicht Martins Geschichte, sondern die von Showrunner Benioff und Weiss. Ihre Herangehensweise ist eine andere. Sie wollen zeigen, nicht erzählen. Sie denken serieller, generischer und populärer. Ihre Version des Textes hat seine eigene Dynamik, seinen eigenen Anspruch und seine eigene Komplexität. Aufwändige Fan Fiction, finden ihre Kritiker. Es stimmt, aber im positiven Sinne: Sie bewundern Martin, versuchen jedoch nicht, ihn zu imitieren, sondern eignen sich ihn an und bleiben sich selber treu. Sie verwirklichen die Version der Geschichte, die sie gerne sehen wollen. Etwas besseres können sie in ihrer einzigartigen, schwierigen Situation nicht machen. Für die Buchfans sind sie verschieden genug von der Originalgeschichte, dass sie ihnen das Ende von A Song of Ice and Fire nicht ruinieren. Im Gegenteil: Jetzt ist das Interesse an Martins Ende größer denn je – wie wird er den Knoten in seinen Büchern lösen? Und für die Serienfans beziehen sie sich immer wieder auf Elemente, die charakteristisch wurden für die Serie. Und jetzt mal Azor Ahai hin oder her – Es war einfach großartig, dass Arya diejenige war, die den Night King zur Strecke brachte.

---

Die Folgen der aktuellen achten Staffel »Game of Thrones« sind in Deutschland jeden Montag exklusiv auf Sky zu sehen. Im Einzelabruf als VoD sind sie ab Dienstag bei Amazon, iTunes und im Microsoft Store verfügbar.