»Game of Thrones: Winterfell« (S08E01)

»Game of Thrones: Winterfell« (S08E01)

Foto: © HBO

Statt Action trumpft »Winterfell« im titelgebenden Schauplatz mit langersehnten Wiedervereinigungen und überfälligen Umarmungen. Ja, die Untoten sind auf dem Vormarsch und stehen quasi vor der Haustür, wie Stimmungstöter Brandon Stark seine Familie erinnert. Aber so viel Zeit muss sein

Ein letztes Mal werden im Staffelbeginn von »Game of Thrones« Weichen gestellt, Spielfiguren positioniert und Konflikte gesät. Daenerys Targaryen und Jon Snow treffen in Winterfell ein und werden vom Norden verhalten aufgenommen. Die berüchtigte Söldnergruppe The Golden Company stellt sich in King’s Landing unter Cersei Lannisters Befehl. Theon Greyjoy befreit seine Schwester Yara aus den Klauen seines Onkels. Bronn bekommt den Auftrag, Tyrion und Jaime zu töten. Die Armee der Toten fordert ihre ersten Opfer. Jon erfährt endlich die Wahrheit über seine Herkunft und den daraus resultierenden Anspruch auf den Eisernen Thron. Passend dazu bekommt die Serie auch einen modifizierten Titelvorspann. Zu den vertrauten Klängen des Hauptthemas erkundet die Kamera die Karte von Westeros im umgekehrten Lauf. Durch die Kluft in der Mauer folgt sie der Eroberungsroute der White Walker von Norden nach Süden.

In »Winterfell« schließen sich die Kreise. Eindrucksvoll zeigt die Folge, wie weit die Figuren, wie weit die Serie selbst nach acht Staffeln gekommen sind. Danys Einzug in Winterfell spiegelt jenen schicksalshaften Moment, an dem König Robert Baratheon mitsamt seiner Gesandtschaft einst zu Beginn von »Winter is Coming« (S01E01) in Winterfell eintraf und das Unglück bzw. die Serie seinen/ihren Lauf nahm. Auf den ersten Blick ähneln sich die beiden Szenen: Ein kleiner Junge klettert wie einst Bran über Stock und Stein und versucht wie Arya einen besseren Blick auf die eintreffenden Soldaten zu erhaschen. Manche Dinge sind sogar direkte Wiederholungen aus der Serienpremiere: Dialogzeilen etwa (Winterfell is yours, Your Grace), oder Ramin Djawadis musikalische Untermalung. Und doch ist alles anders. King Robert, Lord Eddard und Lady Catelyn sind nicht mehr. Ebenso verschwunden ist die Unschuld der Starkkinder. An den traumatischen Ereignissen der Serie gewachsen, nehmen sie die Plätze ihrer Eltern ein.

Benutzten die Serienmacher in der ersten Staffel noch vor allem die Tonebene, um die Armeen größer und die Straßen geschäftiger wirken zu lassen, steht ihnen jetzt ein enormes Budget zur Verfügung (ca. 15 Millionen Dollar pro Folge), um in nie dagewesenen Dimensionen das epische Fantasiespektakel auf den kleinen Bildschirm zu holen. Die visuellen Spezialeffekte, die Ausstattung, die detailreich ausgearbeiteten Bildkompositionen, die Kameraarbeit. »Winterfell« setzt neue Maßstäbe in der Serien-, vielleicht sogar der Fernsehgeschichte. Nie fühlten sich Kino und Fernsehen so nahe. Eindrucksvoll reiten Dany und Jon auf den Drachen durch die verschneiten Schluchten des Nordens, erleben Angst, Begeisterung und ungetrübte Freude. Jenseits der Politik und des Krieges genießen sie die Schönheit eines abgeschiedenen Wasserfalls und die Intimität ihrer neu gefundenen Liebe. Es ist eine tragische Liebe, über der das Schicksal wie ein Geier seine Kreise zieht. Nothing lasts – Varys unheilvolle Worte hallen im Kopf des Zuschauers nach. Wie wird sich ihre Beziehung vor dem Hintergrund von Jons Wissen um seine wahre Identität wie auch des Widerstands seiner Familie gegenüber Dany ändern?

»Winterfell« ist ein bombastischer Auftakt, dessen Handlungsdichte und Grad an voranschreitender Handlung vergleichsweise gering ausfällt. Zum Glück. Gerade die letzte Staffel krankte daran, dass Serienschöpfer Benioff und Weiss viel Handlung auf wenig Erzählzeit durchpeitschten, auf Kosten der Plausibilität und Glaubwürdigkeit der Charaktere. »Winterfell« setzt einen wohltuenden Gegenakzent. »The Lion and the Wolf« (S07E07) endete mit dem unheilvollen Marsch der Toten durch die zerstörte Mauer. Statt an den Cliffhanger der nahenden Zombiearmee anzuschließen, bekommen wir mit der Zusammenkunft von ganzen 16 Hauptfiguren im Sitz der Starks einen Moment der Ruhe vor Sturm geschenkt. Ein letztes Mal Durchatmen, bei dem Figuren aufeinandertreffen, die sich sehr lange nicht mehr oder noch gar nicht gesehen haben. Rührend vereint sich Jon mit dem Rest seiner Geschwister. Arya teilt kleine Momente mit ihren ehemaligen Weggefährten Sandor Clegane und Gendry. Über dem Hof von Winterfell begegnet Sansa ihrem ersten Ehegatten Tyrion und muss beim Austausch über Cerseis Intentionen feststellen, dass sie klüger geworden ist als er. 

Elegant führt eins zum anderen. Ser Jorah stellt Dany seinen Retter Sam vor – Ohne zu wissen, dass Sam der Sohn von Lord Randyll Tarly und der Bruder von Dickon Tarly ist, die von Dany gnadenlos in »Eastwatch« (S07E05) hingerichtet wurden. Noch geprägt von den Neuigkeiten über den grausigen Tod seiner Familie, konfrontiert Sam seinen Freund Jon am Grab von Ned Stark mit seiner wahren Identität: Jon ist der eheliche Sohn von Rhaegar Targaryen und Lyanna Stark, sein echter Name lautet Aegon VI. Targaryen. Der Erbfolge nach hat er einen noch größeren Anspruch auf den Thron als Dany. Jon ist perplex, wehrt ab, will es nicht wahrhaben. Er hat kein Interesse am Eisernen Thron. Und das macht ihm zum besseren Herrscher. Jon hat seine Krone aufgegeben und sich Danys Willen gebeugt, um sein Volk zu beschützen. Hätte Dany das gleiche getan, fragt Sam. Mit einem Mal erscheint der Konflikt mit den White Walkers so klein. Hier liegt da große Drama verborgen, im Dilemma zwischenmenschlicher Beziehungen und dem Konflikt unvereinbarer Interessen, Motivationen und Ziele. Jenseits der Eiszombies, Drachen und Schlachten ist das der wahre Schauwert der Serie. 

»Winterfell« endet mit dem Versprechen, dies nicht vergessen zu haben. In der letzten Szene sehen wir Jaime bei seiner geheimen Ankunft in Winterfell. Alles kommt zusammen. Die erste Person, der er begegnet, ist Bran. Der Three-eyed Raven hat den "Freund aus altten Zeiten" bereits erwartet. Jaime schaut dem Jungen ins Gesicht, den er zum Ende von »Winter is Coming« aus dem Fenster des obersten Turmes stieß. Acht Staffeln Handlung und Charakterentwicklung verdichten sich in Jaimes aufgewühltem Gesicht zu einem komplexen Ganzen. Ein Blick, der mehr sagt als tausend Stunden Dialog. In diesem Moment steckt so viel Poesie, dass man auf seltsame Weise aufatmen muss. All die langen Wege durch Leid und Schmerz haben hier hingeführt, zurück, nach Hause. »Winterfell« gibt Zuversicht, nicht auf ein happy end, aber ein für die Figuren würdiges Ende. Die bittere Süße, die Buchautor George R.R. Martin für das Ende seiner Geschichte versprochen hat, langsam kann ich sie schon schmecken. 

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Die Folgen der aktuellen achten Staffel »Game of Thrones« sind in Deutschland jeden Montag exklusiv auf Sky zu sehen. Im Einzelabruf als VoD sind sie ab Dienstag bei Amazon, iTunes und im Microsoft Store verfügbar.