Kritik zu Das Familienfoto

© Alamode Film

Eine Beerdigung und die Sorge um die demente ­Großmutter führen in dieser Ensemblekomödie zur allmählichen ­Wiederannäherung eines zerstrittenen Familienverbands

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Sie möchte nach »Saint-Julien«, sagt Mamie, und ihr erstmals bei der Beerdigung ihres Mannes geäußerter Wunsch durchzieht diese bittersüße Komödie wie ein Mantra. Auf dem Weg zu diesem Ziel büxt die demente Urgroßmutter nachts aus, wird aber von ihrer Familie stets wieder zurückgeholt. Erst im Laufe der Handlung wird klar, was es mit Saint-Julien auf sich hat. Die Enthüllung dieses Sehnsuchtsortes vollzieht sich ebenso undramatisch wie alles, was Mamie und ihre Angehörigen – ihr Sohn, dessen Ex, drei Enkel und ein Urenkel – durchleben. Dabei werden in der von zwei Beerdigungen eingerahmten Handlung weitere aufwühlende Dinge passieren: vom fast gelungenen Selbstmord über Trennungen, unerfüllten Kinderwunsch, scheiternde Liebesgeschichten, und vor allem Manifestationen von enorm viel unverdautem Groll. Heiter ist nur Mamie, die, vielleicht weil sie nichts mehr versteht, von ihren Angehörigen als Kummerkasten benutzt wird.

Nach ihrem vielversprechenden Langfilmdebüt »Je me suis fait tout petit« (2012) erfüllt Regisseurin Cécilia Rouaud in ihrem zweiten Film die Erwartungen. Die Pro­blemhäufung ihres Dreigenerationenfilms scheint erdrückend, und doch inszeniert sie die Seelenqualen, die durch die Zäsur des Todes offen zutage treten, mit leichter Hand und mit nur gelegentlich karikaturhaften Zuspitzungen. Der Fokus liegt auf den drei Geschwistern, deren Kindheit nach der Scheidung ihrer Eltern vielleicht ein wenig verkorkster als üblich verlief, und die sich im Kümmern um ihre geliebte Großmutter wieder annähern. Da ist die alleinerziehende Gabrielle, die als lebende Statue arbeitet und ihren Sohn mit ihrer Fürsorge überfordert. Schwester Elsa kämpft mit ihren Wutattacken, Bruder Mao, ein Computerspieldesigner, mit Depressionen. Das klingt arg konstruiert, doch die Darsteller verleihen dem vielgestaltigen Alltagsunglück Glaubwürdigkeit. Die umwerfend aparte Popsängerin Vanessa Paradis balanciert als Gabrielle anmutig auf der Kippe zwischen Kümmern und Nervenzusammenbruch, während ­Pierre Deladonchamps Bruder Mao, dem es nicht gelingt, seine Isolation zu überwinden, herzzerreißende Schwermut verleiht. Camille Cottin sorgt als Sozialarbeiterin Elsa, deren Furor selbst ihre hart gesottenen Schützlinge erschreckt, für Lacher. Der Schurke dieser Familienaufstellung ist Vater Pierre, gespielt von Jean-Pierre Bacri, der einmal mehr seine Paraderolle eines ruppig-egozentrischen Erzeugers übernimmt. Eine schöne Überraschung ist die durch »Monsieur Claude« bekanntgewordene Chantal Lauby als Pierres Ex-Frau, die, selbst Psychologin, mit professioneller »Möchtest du darüber reden?«-Pose ihre gequälten Kinder seit jeher von sich fernhält.

Überhaupt, das Reden: Der paradoxe Humor dieses Films besteht darin, dass gemotzt und gehadert wird, jedoch die wichtigen Dinge ungesagt bleiben. Tiefste Gefühle werden nur auf der Analytikercouch offenbart, oder, konvulsiv, nach reichlichem Alkoholgenuss; dem Stolz auf die eigenen Kinder wird nur bei Kollegen freier Lauf gelassen, das Herz nur am Krankenbett von Mamie ausgeschüttet.

Dieses ständige kommunikative Scheitern, wie es besonders für engste Familienverbände typisch ist, entwickelt eine Dynamik, die von ferne an die Komödien von Noah Baumbach oder etwa Woody Allen erinnern. Doch Rouaud geht es nicht zuvorderst um Gags, sondern darum, auf subtile und oft lakonische Weise die Auswirkung dieser Neurosen auf die Beziehungen zu anderen Menschen spürbar zu machen. Ihr Ansatz scheint psychoanalytisch unterfüttert; so geleitet sie ihre beschädigten Helden bei ihrer Selbstfindung nicht in den Hafen eines konventionellen Happy Ends. Stattdessen unternehmen die Geschwister zunehmend mutigere Anläufe, um über ihren Schatten zu springen. Und Saint-Julien entpuppt sich als Erinnerung an das vergangene Kindheitsparadies. Im Rückgriff darauf holen sich die Geschwister Kraft für die Zukunft.

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