Kritik zu Kuma
Fragile Ordnung: Der türkischösterreichische Regisseur Umut Dag schildert patriarchale Familienverhältnisse, die aber von Frauen bestimmt werden
Die Familienverhältnisse in Umut Dags Regiedebüt Kuma wirken anfänglich etwas unübersichtlich. Der türkisch-österreichische Filmemacher wirft den Zuschauer mitten in eine anatolische Familienfeier. Zwei Menschen sollen miteinander verheiratet werden, doch zunächst lässt sich in der allgemeinen Aufregung nicht erkennen, wer eigentlich Braut und Bräutigam sind. Hasan und Ayse? Beiläufig registriert der Film kleine Verstimmungen: Die älteste Tochter Nurcan erhebt (auf Deutsch) die Stimme gegenüber der Mutter, so dass der Vater die beiden Frauen besänftigen muss. Es geht um eine stille Übereinkunft, die das Familiengefüge empfindich stört.
Am nächsten Morgen machen sich die Gäste für die Rückfahrt bereit. Die Reise geht nach Wien, wo die Großfamilie in einer gemeinsamen Wohnung eine zur österreichischen Gesellschaft weitgehend parallele Existenzführt. Das Klandestine dieses Familienverbundes dient einerseits der Bewahrung der heimischen Lebensart, doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Familie es vorzieht, unter sich zu bleiben. Denn die Heirat mit Hasan ist nur vorgeschoben. Das Mädchen Ayse ist als Zweitfrau (auf Türkisch: Kuma) des Familienpatriarchen Mustafa nach Wien gekommen.
Allmählich zeichnen sich die Hintergründe der Vereinbarung ab. Mutter Fatma hat Krebs. Die Rolle der Ehefrau und Mutter ist auf unbestimmte Zeit vakant, Ayse soll sie zum Missfallen von Fatmas Töchtern übernehmen. In der Enge der Wohnung prallen unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander. Nurcan verabscheut die Duldsamkeit und den Traditionalismus der Mutter, während die zweite Tochter Kezvan in Ayse eine direkte Konkurrentin um ihre eigene Mutterrolle innerhalb der Familie sieht.
Dag beschreibt in Kuma ein geschlossenes traditionelles Milieu aus einer rein weiblichen Perspektive. Die treibende Kraft ist nicht etwa der nachsichtige Mustafa, sondern Fatma, die sogar ihre eigene Nachfolge selbst besorgt hat. Fatma lebt insofern traditionell, als dass sie hinter ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter vollkommen verschwindet. Selbst ihren Platz im Ehebett überlässt sie freiwillig Ayse. Die Liebe zu ihrer Familie ist der ultimative Altruismus. Dennoch bahnt sich zwischen den beiden Frauen so etwas wie eine Freundschaft an, die von Fatma nicht ganz uneigennützig gedacht ist, weil sie gewissermaßen über ihren Tod hinaus in dem Mädchen fortbestehen muss. Dann aber macht ein Schicksalsschlag der Familienplanung einen Strich durch die Rechnung. Mustafa stirbt überraschend und plötzlich wird Ayses Position innerhalb der Familie infrage gestellt.
Dag findet in den kontrollierten Familienstrukturen einen Begriff von Tradition, der entgegen dem offiziellen Bild nicht von (häuslicher) Gewalt geprägt ist, dessen Verfallserscheinungen aber kaum mehr rückgängig zu machen sind. Wenn sich im letzten Drittel die Familie aus ökonomischen Zwängen öffnet und äußere Einflüsse auf das Gefüge wirken, erweist sich dieses System bald als hochgradig fragil. Kuma schildert respektvoll die Mühen, die die Aufrechterhaltung dieser Ordnung den Beteiligten abverlangen. Aber die Tränen am Schluss sind auch Tränen der Erleichterung.
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