Interview mit Michael Bully Herbig über seinen Film »Ballon«
Michael Bully Herbig am Set von »Ballon« (2018). © Studiocanal/Marco Nagel
Herr Herbig, als 1979 die reale Geschichte passierte, waren Sie noch relativ jung – haben Sie trotzdem noch eine Erinnerung daran?
Ich war elf, also genau so alt wie Fitscher, der jüngere Sohn der Strelzyks, und erinnere mich noch an das Titelbild vom ‚Stern’. Das war aber auch schon alles. Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen und wir waren vorrangig damit beschäftigt, unseren Alltag zu organisieren. Es gab keine politischen Diskussionen zu Hause und wir hatten weder Verwandte noch Bekannte in der DDR. Erst mit dem Disney-Film aus den 80ern wurde ich auf die Geschichte aufmerksam. Damals war ich wiederum genau so alt wie der ältere Sohn, Frank. Dass es Leute gab, die einen so waghalsigen Plan entwickelt haben, um in Freiheit leben zu können, beeindruckte mich extrem. Als ich vor sechs Jahren das Projekt angeschoben habe, konnte ich nicht ahnen, dass »Ballon« so eine gruselige Aktualität bekommen würde. Vielleicht bringt »Ballon« den ein oder anderen ein wenig ins Grübeln. Und wenn eine junge Generation den Film sieht, dann kämpfen sie vielleicht in Zukunft ein bisschen mehr dafür, dass so etwas nie wieder passiert.
Der Disney-Film kam 1982 in die Kinos. Hat er jetzt bei der Vorbereitung noch einmal eine Rolle gespielt?
Ich habe ihn mir noch einmal angeschaut, weil ich notgedrungen die Remake-Rechte erwerben musste. Deshalb dachte ich mir, wenn ich schon dafür bezahlen muss, dann schaue ich mal, ob es darin etwas gibt, was ich übernehmen kann, stellte dabei aber schnell fest: unser Film wird komplett anders. Die erste Verfilmung hatte eine sehr amerikanische Sicht auf die Geschehnisse – ich glaube, jemand, der in der DDR aufgewachsen ist, findet diesen Film extrem oberflächlich. Das war für mich eher Ansporn, zu sagen, lass uns bis ins kleinste Detail alles richtig machen. Das ging soweit, dass die Ausstatter denselben schlechten Tapetenkleber benutzt haben, damit die Tapeten die typischen Wellen warfen. Ich wollte von Anfang an vermeiden, dass die Leute sagen: »Da kommt jetzt der Komiker aus Bayern und will uns erzählen, wie es damals in der DDR ausgesehen hat«.
Gibt es solche Herausforderungen auch bei der Komödie oder ist man da ganz frei, weil man von vornherein sagt, das ist eine Parodie?
Bei der Komödie bin ich immer der Meinung, dass Du alles extrem ernst nehmen musst. Als ich den »Schuh des Manitu« gemacht habe, haben einige gesagt, »Das kannst Du doch im Schwarzwald drehen!« Das war auch ein Grund, warum ich mich irgendwann entschlossen habe, den Film selbst zu produzieren. Ich dachte immer, wenn der Ton aus ist, müssen die Leute denken, sie sehen jetzt einen richtigen Western. Jede komödiantische Szene braucht die nötige Ernsthaftigkeit, jede gute Komödie lebt vom Scheitern.
Wie oft sind Sie denn, nachdem dieses Projekt bekannt wurde, gefragt worden: »Wieso gerade das? Willst Du nicht mehr lustig sein?«
Letzteres vielleicht weniger, es war ja auch ein langsamer Prozess, in dem vieles zu regeln war, zuerst einmal das Gespräch mit den beiden Familien. Ich bin nach Pößneck gereist, habe dort meine Videokamera aufgestellt und zusammen mit dem Autor Thilo Röscheisen ausführliche Gespräche mit Doris und Peter Strelzyk geführt. Die beiden sind ja nach der Wende wieder in das Haus zurückgezogen, das man ihnen nach ihrer Flucht enteignet hatte. Das war alles sehr ergiebig und inspirierend. Mit dem Segen der beiden Familien diesen Film machen zu können, war mir enorm wichtig. Hätten beide Familien gesagt, das wollen wir nicht, hätte ich wohl die Finger davon gelassen, weil mir diese Details und die Genauigkeit einfach wichtig waren. Aber so konnte ich mich die letzten sechs Jahre ausführlich mit dem Thema beschäftigen. Wenn ich einen Film produziere oder inszeniere, spielt es erstmal keine Rolle, ob es sich dabei um eine Komödie oder einen Thriller handelt. Die Arbeit ist die gleiche, nur der Fokus liegt inhaltlich woanders. Eigentlich führe ich eine Art Doppelleben, als Regisseur und Produzent fühle ich mich am wohlsten, aber für die meisten Leute war ich bisher halt einfach der Komiker Bully.
Durch die Arbeit vor der Kamera und gerade durch die kurzen Sketche im Fernsehen haben Sie ja einen sehr engen Draht zum Publikum, wodurch Sie unmittelbar mitbekommen, wenn ein Gag nicht so funktioniert, wie er geplant war. In diesem Film geht es auch um Emotionen, aber um Spannung. Haben Sie dabei festgestellt, das ist letzten Endes sehr ähnlich – oder aber funktioniert das anders?
Vor allem die Arbeit im Schneideraum mag ich sehr. Seit ich Filme mache, arbeite ich immer mit demselben Cutter, Alexander Dittner. Uns ist aufgefallen, dass wir noch bei keinem Film soviel gelacht haben wie bei diesem. Das hatte aber nichts mit dem Inhalt zu tun, sondern mit dem Gefühl, dass im Schnitt sehr vieles sehr gut funktionierte. Außerdem braucht man bei einem ernsten Thema auch mal ein Ventil. Du kannst Dich nicht wochen-, monatelang mit diesem schweren Thema beschäftigen, ohne mal kurz durchzuatmen. Das gilt auch für´s Publikum, man muss auch mal bei einem Thriller kurz lachen dürfen.
Bei Komödien ist das anders. Man feilt an jeder noch so kleinen Pointe, bis man glaubt, dass sie funktioniert. Du sitzt konzentriert da und achtest auf das richtige Timing. Comedy ist manchmal eine sehr ernste Angelegenheit und hat eben einen anderen Rhythmus als Suspense. Eigentlich bin ich ja Filmemacher geworden, weil ich ein großer Hitchcock-Fan bin. Meinen ersten Hitchcock habe ich im Fernsehen gesehen – genauer gesagt, ich habe nur die linke Bildhälfte gesehen, denn der Türspalt, durch den ich heimlich geguckt habe, war nicht groß genug. Das war »Die Vögel«, dann kam »Psycho«, später »Der weiße Hai« von Steven Spielberg – diese Filme haben mich fasziniert. Eher durch Zufälle, die ich überhaupt nicht bereue, hab´ ich die Abbiegung in Richtung Komödie gemacht. Einen Film wie »Ballon« hätte ich außerdem vor 20 Jahren nicht machen können. Für gewisse Stoffe hilft es einfach, die nötige Lebenserfahrung zu haben. Ich verstehe heute einfach besser, wie es sich für einen Vater in so einer Situation anfühlen muss. Mit 50 fühle ich mich reif genug, so einen Film zu machen.
Sie haben ja auch einen Credit als Ko-Autor neben den beiden anderen Autoren. Haben Sie deren Arbeit gegengelesen, oder aber haben sie zu Dritt zusammengesessen und geschrieben?
Das war ein regelmäßiger und intensiver Austausch. Wir haben zunächst zusammengesessen und besprochen, was für einen Film ich mir vorstelle. Er basiert auf einer wahren Geschichte, also haben wir unter anderem diskutiert, wie zum Beispiel auch ein junges Publikum diese Geschichte nachvollziehen und verstehen kann. Hier fanden wir etwa die Liaison zwischen Frank, dem älteren Sohn der Strelzyks, und der Tochter des Nachbarn, einem Stasimitarbeiter, sehr spannend. Die beiden Autoren Kit Hopkins und Thilo Röscheisen haben sich dann wieder für Wochen zurückgezogen, um an der nächsten Drehbuchfassung zu arbeiten. Das ging ein paar Jahre so hin und her. Als ich mit der Dramaturgie und dem Spannungsbogen zufrieden war, wollte ich das Buch noch mit der nötigen DNA anreichern. Dabei sind wir ganz stark an die Dialoge herangegangen und ich habe zusätzlich Leander Haußmann kontaktiert. Er war eine große Inspiration und mit ihm habe ich zwei Wochen lang über die Tonalität der Szenen gesprochen. Das hat dem Buch noch mal mehr Authentizität gegeben. Sogar während des Drehs habe ich noch die eine oder andere Szene umgeschrieben. Mir ging zum Beispiel Peter Strelzyk nicht mehr aus dem Kopf, der mir damals erzählt hatte, dass man für einen politischen Witz schon mal drei Jahre Gefängnis bekommen hat. Während des Drehs ist mir dann ein Gedanke gekommen, wie wir den politischen Witz noch einbauen könnten und so haben wir´s dann auch gemacht.
Die Figur des Stasi-Mannes, den Thomas Kretschmann verkörpert, erinnerte mich an die Kommissare in den Gangsterfilmen von Jean-Pierre Melville: sie stehen auf der anderen Seite, aber sie verstehen ihr Gegenüber und haben einen gewissen Respekt.
Man sucht sich natürlich Vorbilder. Ich dachte unter anderem dabei an »Auf der Flucht« mit Harrison Ford und Tommy Lee Jones. So etwas hilft in der Buchentwicklung, wenn man noch keine Besetzung bzw. noch keinen bestimmten Schauspieler vor Augen hat. Natürlich haben wir versucht, mit ehemaligen Stasimitarbeitern Kontakt aufzunehmen, aber so richtig wollte keiner mit uns reden. Unser Antagonist ist ein Mensch, der davon überzeugt ist, dass er das Richtige tut. Er hat eine klare Haltung. Man muss diese Haltung nicht teilen, aber man kann vielleicht nachvollziehen, woher sie kommt. Das war mir übrigens bei allen Figuren wichtig. Jede Figur im Film steht für eine Haltung in dieser Gesellschaft, es gab kein Schwarz oder Weiß.
Es gibt am Ende, wie in vielen Filmen, die auf authentischen Geschichten basieren, dokumentarische Bilder, nicht aber Texte, die erzählen, was aus den Personen wurde…
Darüber haben wir diskutiert, aber als wir merkten recht schnell, dass man daraus wahrscheinlich einen zweiten Teil machen könnte. Es ist so viel passiert, allein was Peter Strelzyk im Westen mit seinem Elektroladen widerfahren ist. Die Stasi hat die beiden Familien ja nicht in Ruhe gelassen. Da gäbe es noch ganz viel zu erzählen und man wäre den Ereignissen nicht gerecht geworden, wenn man das in zwei, drei Sätze gepackt hätte.
Wenn der Film an der Kinokasse einigermaßen erfolgreich ist und in der Presse nicht nur Prügel bezieht, gibt es dann ein anderes dramatisches Projekt, das Sie gern realisieren würden?
Im Moment bin ich für jedes Genre offen, außer der Komödie. Ich war in dieser Hinsicht bisher immer sehr zurückhaltend, aber ich denk mir halt: jetzt bin ich 50, ich habe die zwei erfolgreichsten Komödien der letzten zwanzig Jahre gemacht, den erfolgreichsten deutschen Familienfilm mit »Wickie und die starken Männer« – mich reizen jetzt einfach andere Dinge. Natürlich wird das etwas mit mir machen, ob der Film nun funktioniert oder nicht. Wenn er nicht funktioniert und ich auf der anderen Seite auch keine Komödien mehr machen will, dann muss ich mich erst einmal hinlegen. (lacht)
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