TV-Tipp: »Kruso«
»Kruso« (2018). © MDR/UFA Fiction/Lukas Salna
Man weiß es noch nicht, aber man ahnt es schon: dass bald alles anders sein könnte. Der Sommer 1989 wird sich im Nachhinein als der letzte Sommer der DDR erweisen. Wer Zugang zu westdeutschen Medien hat, der erfährt von jenen Mitbürgern, die über Ungarn ausreisen, später von jenen, die die Botschaft der Bundesrepublik in Prag besetzen, um ihren Ausreiseanträgen Nachdruck zu verleihen.
Viele machen sich allerdings auch auf einen althergebrachten Weg, der ungleich gefährlicher ist: vom nördlichsten Punkt der DDR, der Insel Hiddensee, in die Freiheit nach Dänemark zu gelangen. Zu ihnen gehört auch der 24jährige Student Edgar Bendler aus Halle. Bei ihm ist der Auslöser der Unfalltod seiner Freundin (der vielleicht ein Selbstmord war).
Auf Hiddensee lernt Ed das Personal der Gaststätte »Klausner« kennen, deren Chef sagt, »Wir sind hier oben die Insel auf der Insel«. Zum Personal gehören Aussteiger und solche, die die Gesellschaft wegen ihrer kritischen Haltung stigmatisiert hat. Zu der Freiheit, die sie hier leben, werden sie inspiriert von einem, der seinen russischen Namen Alexander Krusowitsch verkürzt hat zu Kruso – ein Name, in dem natürlich auch Daniel Defoes »Robinson Crusoe« mitschwingt. Er hat die Insel nicht mehr verlassen, seit er 1971 herkam, mit seinem Vater, einem in Deutschland stationierten General der Roten Armee.
Krusos Charisma kann sich Ed noch weniger entziehen als andere, der Dichter Trakl bringt sie zusammen, es ist der Beginn einer Männerfreundschaft, um die herum sich das Ensemble der Mitarbeiter im »Klausner« gruppiert. Während die Radionachrichten des Deutschlandfunks von der Ausreisewelle berichten, erhält Ed seine Unterweisungen von Kruso, das betrifft sowohl die Organisation der Arbeit im »Klausner«, aber vor allem die Unterstützung von Krusos Mission: allabendlich sich um die »Schiffbrüchigen« zu kümmern, die tagsüber den Strand bevölkern, sie mit heißer Suppe (gekocht aus den Resten, die die Restaurantgäste zurückließen) und geistiger Nahrung in Form von abgegriffenen Taschenbüchern zu versorgen und anschließend mit einem Nachtquartier, wo sie vor den patroullierenden Grenztruppen sicher sind – und sie, sofern sie das geplant haben, damit von der lebensgefährlichen Flucht durch die Ostsee abzuhalten. Dafür hat er ein Dreitagesprogramm entwickelt: »Wir geben ihnen drei Tage. Dann schicken wir sie zurück: gereinigt und befreit« erklärt er Ed. Am Ende allerdings kollidiert diese Mission mit der sich rasant zuspitzenden Fluchtwelle, statt Hiddensee heißen die Ziele der Ausreisewilligen jetzt Ungarn und Prag, auch die »Klausner«-Mannschaft reduziert sich rapide, zurück bleibt ein Kruso, der dabei ist, dem Wahnsinn zu verfallen, den auch sein letzter Getreuer Ed nicht aufhalten kann.
Regisseur Thomas Stuber überzeugt, wie schon bei »In den Gängen«, durch eine präzise Darstellung von Arbeitswelten und die Gemeinschaft der dort Arbeitenden, in deren Zusammenhalt ein utopisches Element enthalten ist, das allerdings am Ende den von außen kommenden Belastungen bzw. dem individuellen Druck, der auf Einzelnen aufgrund ihrer persönlichen Geschichte lastet, nicht standzuhalten vermag. Im überzeugend agierenden Ensemble ragt Albrecht Schuch als Kruso hervor – nach »Bad Banks« ein weiterer Beweis von dessen Vielseitigkeit.
Wer die Romanvorlage von Lutz Seiler (im Sommer 1989 selber im »Klausner« tätig) kennt, wird zwangsläufig einiges vermissen, die langen, atmosphärisch dichten Beschreibungen der Stimmung an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, die viel häufigeren surrealen Momente – das aber war nicht zu vermeiden, wenn 483 Buchseiten auf 100 Minuten Film verknappt werden. Aber der Film fängt vieles vom Geist der Vorlage ein. Und die kann man ja im Anschluss lesen.
ARD, Mi. 26.9. um 20:15 Uhr
Wiederholungen auf ONE:
So 30.9., 20:15 Uhr
Mi, 3.10., 18:30 Uhr
Am 5. Oktober erscheint »Kruso« als DVD (Anbieter: Universum). Die DVD enthält optionale Untertitel für Hörgeschädigte sowie eine Audiodeskription.
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