Die Naht des Stiefels 2: Die Wurzeln der Träume
Eine Gegend, über die sich oft der Nebel herabsenkt, ermutigt die Phantasie. Das meint zumindest Terry Gilliam, der als angelernter Londoner von Beidem eine Menge versteht. Für die Emilia Romagna gilt dies um so mehr. Also sind er und seine Frau vor ein paar Jahren nach Rimini gereist, das ihnen aus den Filmen Federico Fellinis vertraut war. Dabei hatten sie vor allem das Bild des Stiers in "Amacord" vor Augen, dessen Konturen plötzlich im wabernden Dunst erscheinen.
Sie traten die Reise aus Neugier an und in der Überzeugung, dass die Umstände, unter denen ein Künstler aufwächst, dessen Weltsicht entscheidend prägen. Jedoch besuchten sie den beliebten Küstenort außerhalb der Saison, wo sie fast menschenleer ist. Auch das regt ja die Phantasie an. Im Sommer sei das Leben dort voller Magie, vermutet Gilliam, was er sich nun sehr gut vorstellen könne. In der Tat kommt es im Kino nicht nur auf den Ort, sondern auch auf die Jahreszeit an. Als Valerio Zurlini 1972 »Oktober in Rimini« drehte, entsprach die dortige Witterung ganz und gar nicht seinen Vorstellungen und musste der Nebel mit Maschinen hergestellt werden. All das kann man in einer Dokumentation mit dem Titel »Die Wurzeln der Träume« erfahren. Der Nebel erzähle die Geschichte der Landschaft, sagt ein anderer Filmemacher darin. Mit Blick auf Antononionis »Die rote Wüste« darf man festhalten, das er nicht nur gut für das Aroma des Schinkens ist, der vor ein paar Tagen meine Phantasie beflügelte.
Aus dieser Dokumentation über das Filmschaffen in der Emilia-Romagna läuft ein 15minütiger Ausschnitt im Italienischen Kulturinstitut. Endlich habe ich die Ausstellung sehen können. Mein Versuch, sie am Freitag zu besuchen, wurde erneut sabotiert: Die Angaben, die ich im Netz zu den Öffnungszeiten fand, stimmten nicht und ich stand vor verschlossenen Türen. Während der Berlinale werden sie sich noch einmal besucherfreundlich ändern: Dann steht wochentags von 10 bis 21 Uhr offen, samstags von 10 bis 20 Uhr (samstags) und sonntags von 12 bis 18 Uhr. Sie lohnt einen Abstecher zwischen zwei Filmen, denn das Institut liegt in fußläufiger Nähe zum Potsdamer Platz; mit dem Bus (Linie 200) sind es zwei Stationen. Sie ist klein und überschaubar. Es macht Spaß, in ihr zu verweilen.
Die Schau folgt zunächst chronologisch der Filmgeschichte, beginnt beim Neorealismus und leitet dann zur Komödie über. Sie hat in der Region nur selten Fuß fassen können, wenn man von der »Don Camillo«-Serie und, mit wehmütigen Abstrichen, Fellinis »Die Müßiggänger« absieht. Sie lädt nicht zur Heiterkeit ein, eher zu Dramen und Aufbrüchen, filmischen wie politischen. Sie ist eine Wiege des Autorenfilms (in meinem vorherigen Eintrag unterschlug ich, dass auch Liliana Cavani von hier stammt); in Parma und Piacenza fing mit Bertoluccis »Vor der Revolution« und Bellocchios »Mit der Faust in der Tasche« (und nicht »Die Fäuste in den Taschen«, wie ich vor ein paar Tagen den deutschen Verleihtitel fälschlicherweise nannte) die Neue Welle im italienischen Kino an.
In der Emilia Romagna, dieser Brücke zwischen Nord- und Süditalien, wurde auch der italienische Sozialismus geboren, wie eine Wandtafel betont, und in der Folge der Widerstand gegen den Faschismus. Diesen klassenkämpferischen Zug belegen Ausschnitte aus Wochenschauen und Spielfilmen wie Bertoluccis »1900«. Auch an Don Camillos Gegenspieler Peppone darf man hier denken, den Gino Cervi als »Stalin mit Herz« mit Herz spielt, um noch einmal aus Gian Luca Farinellis schöner Einführung zu zitieren.
Ganz wunderbar greift die Schau auch die Verwandtschaft auf, die er zwischen bildender Kunst und Kino herstellte. In einer Reihe von Guckkästen kann man Gemälde und Filmszenen miteinander vergleichen. Das besitzt Buchstäblichkeit – manche Filmeinstellungen wirken wie explizite Zitate. Aber ebenso evident und einleuchtend sind freiere Assoziationen, etwa zwischen Morandis Stillleben und Filmen von Antonioni und Zurlini. Die Kulturdichte, von der Gian Luca sprach, wird in der Schau überzeugend beglaubigt.
Der Pakt, den das Kino mit den Orten schließt, an denen es entsteht, hat mich schon immer fasziniert. In der Emilia Romagna ist er besonders eng. Indes ist es kaum vorstellbar, dass dies je zu einem kommerziell florierenden Drehort-Tourismus führen wird. Das muss es auch nicht. Allerdings beeindruckte mich sehr, dass ein Bekannter bei der Eröffnung erzählte, er habe einmal den Gutshof gesucht, auf dem Bertoluccis »1900« spielt. Das war schwierig und sein Reiseführer keine große Hilfe. Für den Einheimischen hingegen, der ihn dann auf die richtige Fährte brachte, war es keine große Sache. Das sei doch schon so lange her – und es gäbe so viele Filme, die hier gedreht wurden.
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