Filme für Öl
Im letzten Sommer erkannte ich meinen Paketboten nicht mehr wieder. Mit einem Mal ließ er sich einen Vollbart wachsen. Ich kann nicht behaupten, dass er ihm stand. Aber er musste, wie ich alsbald erfuhr, aus gewissermaßen diplomatischen Gründen sprießen.
Als gute Muslime wollten er, seine Frau und sein Sohn endlich die Haddsch nach Mekka antreten. Das hatten sie sich schon lange vorgenommen und fast ebenso lange darauf hin gespart, da dies eine höchst kostspielige Unternehmung ist, wenn man den Flug und eine Hotelunterkunft nahe der Kaaba mit einrechnet. Und dann musste er noch einen neuen Pass beantragen und dafür ein neues Foto machen lassen, da angeblich nur bärtige Männer nach Saudi-Arabien einreisen dürfen. In bester Asterix-Manier schimpfte er über die Saudis, obwohl er nicht einmal Iraner ist. (Vielmehr stammt er aus der Türkei, was auch das köstliche Gebäck seiner Frau, das er mich bei früherer Gelegenheit einmal hatte kosten lassen, hinreichend beglaubigt.) Das Geschimpfe hob erneut an, als ich ihm beim nächsten Mal begegnete, nun wieder bartlos. Die Gesichtsbehaarung sei doch nicht vonnöten, hatte er zwischenzeitlich in Erfahrung gebracht. Indes erwies sich die Reise am Ende dann doch als eine Bereicherung für die ganze Familie.
Dass mit den Saudis nicht zu Spaßen ist, war mir bis dahin theoretisch schon bekannt. Praktisch weiß das jeder, der sich beruflich mit U-Boot-Verkäufen, Ölhandel und Terrorismus befasst. Aber die Erzählungen meines Zustellers offenbarten mir noch eine andere Facette: die Unberechenbarkeit, womöglich gar Flexibilität des königlichen Regimes. Immerhin dürfen sich mit Beginn nächsten Jahres endlich auch saudiarabische Frauen hinter ein Lenkrad setzen. Und bald können dort auch wieder Kinos eröffnet werden. Ein diesbezüglicher Bann, der seit 35 Jahren galt, wird aufgehoben. Filme durften schon früher dort gedreht werden, denken Sie nur an »Das Mädchen Wadjida« der Regisseurin Haifaa al-Mansour, der auch hier zu Lande seinen Zauber entfaltete. Im letzten Jahr ging das Land sogar ins Rennen um den Auslands-Oscar, verlor dann aber gegen den Erzfeind Iran. Schwer vorstellbar also, dass Asghar Fahadis »The Salesman« so bald in einem der 300 Lichtspieltheatern laufen wird, die bis 2030 entstehen sollen. Ohnehin werden von Seiten erzkonservativer, streng religiöser Behörden hohe Hürden errichtet werden. Von der Vision, nun Filme nicht mehr nur klandestin daheim oder im Ausland, sondern auch legal auf einer Leinwand sehen zu können, muss man noch nicht gleich die endgültige Überwindung einer notorisch kulturfeindlichen Politik erwarten. Ein solches Einlenken hat gemeinhin handfeste ökonomische Gründe: Irgendwann werden die Ölreserven erschöpft sein, da sucht man nach Alternativen. Aber es könnte der Anfang einer wunderbaren Freundschaft sein.
In Deutschland wurde die gestrige Nachricht erst einmal zwiespältig aufgenommen. Das schließe ich zumindest aus dem glossenhaften Ton einiger früher Kommentare. Aus Saudi-Arabien wurden Reaktionen voll gesunder Selbstironie publik (es wird über mögliche Filmtitel spekuliert, darunter "Ich weiß, was Du im letzten Ramadan getan hast", was in der Tat ulkig ist). Der Plauderton dieses Eintrags zeigt, wie leicht ich selbst in diese Falle getappt bin. Aber auch wenn anfangs das wirtschaftliche Kalkül überwiegen sollte, muss einen das nicht entmutigen. In noch jede Filmindustrie hat sich irgendwann einmal der Impuls des Mäzenatentums eingeschlichen. Sie kann und will es sich leisten, Autorenfilme hervorzubringen. Das ist ein unausweichlicher Prozess. In Saudi-Arabien hat er schon stattgefunden, bevor es überhaupt eine solche Industrie gibt. »Das Mädchen Wadjida« wurde von einer Frau inszeniert. Er handelt von Freiräumen, die man sich erobern kann. Da ging es noch um ein Fahrrad. Aber rufen wir uns in Erinnerung, welch zentrales Motiv das Autofahren im iranischen Kino ist. Da ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass das verfeindete Königreich dereinst auch mit einem sehr mobilen Kino von sich reden machen wird.
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