Kritik zu The Salesman
Im Iran war Asghar Farhadis siebte Regiearbeit zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Unter anderem wurde der Film beschimpft, weil er die Vorstellung des »heiligen Zorns« infrage stelle. Auch wurde dem Regisseur vorgeworfen, er demütige das iranische Kino, indem er den Film von »arabischen Scheichs«, namentlich dem Fonds des »Doha Institute« in Katar mitfinanzieren ließ. Bei der Pressekonferenz in Teheran erregte eine Tätowierung der Hauptdarstellerin Ärger, die ein Symbol der Weiblichkeit zeigt. Gleichwohl brach »The Salesman« daheim Kassenrekorde und ist der iranische Kandidat für den Auslandsoscar
Asghar Farhadi ist ein Filmemacher, der sich genau Rechenschaft ablegen kann über sein eigenes Vorgehen. Das erste Bild, das ihm zu seinem neuen Film durch den Kopf ging, war das einer leeren, im Dunkel liegenden Theaterbühne. Nach und nach erhellen Scheinwerfer die Szenerie, bis sie am Ende in einer Totalen ganz sichtbar wird.
Dieses Bild ist eine akkurate Metapher für sein eigenes erzählerisches Vorhaben. Zunächst lenkt Farhadi den Blick auf bezeichnende Details, um dann allmählich die Bruchstücke zu einer erhellenden Gesamtheit zusammenzusetzen. »The Salesman« beginnt auf einer Bühne, auf der eine Theatertruppe im Teheran der Gegenwart Arthur Millers »Tod eines Handlungsreisenden« probt. Zu den Darstellern gehören der Lehrer Emad (Shahab Hosseini) und seine Frau Rana (Taraneh Alidoosti). Die Existenz des modernen, kinderlosen Paares wird erschüttert, als das Fundament ihres Wohnhauses absackt und dieses einzustürzen droht. Die Evakuierung ist ein erstes Indiz, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft verlieren könnten. Ein Ensemblekollege bietet ihnen eine leer stehende Wohnung an. Die Vormieterin hatte einen schlechten Ruf im Haus – das Wort Prostituierte fällt nie –, Emad und Rana hingegen finden das Wohlgefallen der Nachbarn. Eines Abends wird Rana von einem Unbekannten im Bad überfallen und verletzt. Über den genauen Hergang der Tat schweigt sie sich jedoch aus. Anstatt die Polizei zu informieren, begibt sich Emad selbst auf die Suche nach dem Angreifer, der offensichtlich ein Kunde der mysteriösen Vormieterin war.
Mit der seismografischen Methodik eines Kriminalfilms schildert Farhadi nun, wie dünn die Firnis bürgerlichen Wohlverhaltens ist. Emad steigert sich zusehends in seine Rachsucht hinein; er glaubt, die eigene Ehre wiederherstellen zu müssen. Er kann Rana nicht die emotionale Stütze sein, derer sie dringend bedarf. Die Ereignisse haben einen existenziellen Zweifel geschürt. Das Unausgesprochene trennt das Paar: Die Einstellungen werden seltener, in denen sie gemeinsam zu sehen sind; Dekors und Kadrierung unterstreichen ihre Entfremdung. Die Konflikte spitzen sich in ihrer alten, verlassenen Wohnung zu, als Emad dort dem Tatverdächtigen eine Falle stellen will.
Als »The Salesman« im Mai in Cannes lief, bemängelte ein Gutteil der französischen Kritik, er demonstriere letztlich vor allem, dass Farhadi ein sorgfältiger Drehbuchautor sei. Dieser Einwand ist insofern nachvollziehbar, als man in Frankreich seit den 50er Jahren der inszenatorischen Handschrift traditionell den Vorzug vor einem solide gebauten Drehbuch gibt. Um diese Qualität ernsthaft als Vorwurf ins Feld zu führen, bedarf es beträchtlicher intellektueller Verrenkungen. Andererseits trifft dieser Vorbehalt den Kern von Farhadis Arbeitsweise. Seine Filme sind genau strukturiert. Sie misstrauen dem Chaos, verraten eine Furcht vor Unwägbarkeiten, der mit einer dramaturgischen Ordnung beizukommen ist.
Fahrhadi arbeitet nicht nur diverse Spiegeleffekte zwischen Arthur Millers Stück und seinem eigenen Drama heraus. In einer Schlüsselszene greift Emad den Darsteller an, der ihnen seine Wohnung vermietet hat, ohne dass das Publikum seine Abweichung vom Text bemerkt. Darüber hinaus finden Motive und Situationen regelmäßig eine spätere Entsprechung. So muss Emad beispielsweise anfangs und am Ende einen Hilfsbedürftigen auf seinem Rücken die Treppe hinuntertragen. Diese Parallelführung wird zum Prüfstein. Sie zeigt, wie sehr sich der eingangs altruistische Bildungsbürger im Zuge seiner Suche nach Vergeltung verändert hat. Wo jedes Ereignis metaphorisch aufgeladen ist und jedes Detail erzählerisch in Dienst genommen wird, bleibt wenig Raum für Spontaneität. Allerdings fußt Farhadis Dramaturgie durchaus auf einem anarchischen Faktor. Wie schon »About Elly« und »Nader und Simin« ist auch sein neuer Film um eine Leerstelle konstruiert. Das zentrale Ereignis, an dem sich alle weiteren Konflikte entzünden, zeigt er nicht. So bleibt ungewiss, was genau sich im Badezimmer zutrug.
Farhadi setzt vornehmlich die Handkamera ein und dreht in langen, feinnervig reagierenden Plansequenzen, wenn er seine Charaktere auf ihrem Parcours der Erschütterungen begleitet. Damit folgt er dem aktuellen, internationalen Paradigma des psychologischen Realismus: Dieser Erzähler ist gleichsam zu gewissenhaft, um ein Stilist zu sein. Wo der westliche Betrachter gern im iranischen Kino eine ästhetische Strategie des Widerstandes vorfinden würde, vertraut Farhadi auf die Lesbarkeit seiner Parabel.
Farhadi kann ein Inventar der moralischen und politischen Ambivalenzen anlegen, weil er einerseits die gültigen Verbote respektiert – die Körper bleiben bekleidet, die Frauen tragen Kopftücher. Andererseits folgt er beharrlich seinem erzählerischen Impuls, sich der Wahrheit in einem repressiven System zu nähern. Er denunziert es nicht, spürt aber diskret seinen Wirkungsmechanismen nach. Die neuen Nachbarn fungieren als Repräsentanten, die einen enormen sozialen Druck ausüben. Die hellsichtige Darstellung eines Klimas, in dem sich potenziell jeder schuldig fühlen muss, kann auch einem konservativen Regime nicht genehm sein. Einmal fällt der Blick der Kamera auf das Plakat von Ingmar Bergmans Gesellschaftsparabel »Schande«, in dem ein Musikerehepaar vor einem Krieg flüchtet und in Verdacht gerät, mit dem Feind zu kollaborieren. Bei Farhadi braucht es nur die Entgleisung des Alltags, um das Weltvertrauen seiner Charaktere zu erschüttern. Sie erschrecken schon, als das Geräusch eines Toasters die Stille zerreißt.
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