Kritik zu A Ghost Story
Requiem auf einen Untoten: Der amerikanische Regisseur David Lowery (»Elliot, der Drache«, »The Saints – Sie kannten kein Gesetz«) erzählt mit einem ganz und gar »analog« geschaffenen Geist im Zentrum des Geschehens von Liebe, Verlust und der Weite der Existenz
Geister sind dankbare Filmhelden. Sie lassen sich je nach Genre in allen möglichen visuellen Stilen interpretieren. Da sind die grässlich verzerrten Fratzen und Körper, die sich unversehens aus den Wänden eines unheimliches Hauses herauslösen im einschlägig beliebten Horrorgenre. Wenn es heiterer zugehen soll, tun es die animierten grünen Blubberwesen à la »Ghostbusters«. Hehre Emanationen von Licht deuten in esoterisch orientierten Kinoproduktionen auf einen höheren Sinn hin. Nicht vergessen seien auch die harmlos vergnügten Geister, die im Diesseits herumwuseln und den Lebenden Streiche spielen wie einst in der US-Filmkomödie »Topper – Das blonde Gespenst« (1937).
Die Möglichkeiten, Geister darzustellen, sind also unzählig. Um so verblüffender, dass sich US-Regisseur David Lowery bei »A Ghost Story« für eine eher unpopuläre Variante entschieden hat: Seine titelgebende Gestalt geht als klassisches Bettlakengespenst um, als Gruselfantasie aus der kindlichen Vorstellungswelt also, inklusive zweier ausgeschnittener Löcher für die Augen. Auch Geister wollen schließlich sehen, was Sache ist. Zumal wenn sie wie hier der C genannte zugehörige Tote nicht mehr recht eingreifen können in den Alltag der Hinterbliebenen. C (Casey Affleck) war Musiker und lebte mit seiner Freundin M (Rooney Mara) in einem bescheidenen Häuschen auf dem Land, bis er bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. In der Pathologie findet die wundersame Verwandlung zum Bettlakengeist statt. In einer Endlosschleife sieht er M morgens in die Schuhe schlüpfen und zum Schlüssel greifen, um zur Arbeitsstelle aufzubrechen, während er unbewegt in einer Ecke ausharrt. Monate vergehen, bis man die Geliebte irgendwann beim Packen sieht – M zieht um, das Haus wird verkauft, der Geist bleibt. Eine neue Familie zieht ein; in ohnmächtiger Wut terrorisiert sie der Geist durch Spuk, fliegende Teller, die Levitation von Milchgläsern und Ähnliches.
Das alles könnte lächerlich wirken, tut es aber mitnichten. Vielmehr vermittelt dieses »Burka-Gespenst« einen gewaltigen Eindruck von Erhabenheit, da es sich nur wenig – und wenn, dann sehr hoheitsvoll – bewegt und außerdem nahezu stumm bleibt. Überhaupt wird wenig gesprochen in diesem Film. Dass es darum geht, was man an Spuren hinterlässt im Leben der anderen und in der Welt, wird ohnehin bald klar – da braucht es den Monolog eines Hobbyphilosophen über die Vergeblichkeit des Seins, Gott und Beethoven eigentlich nicht mehr, der irgendwann während einer Party gehalten wird. Im Häuschen wechseln die Bewohner mehrfach. Bis es am Ende tatsächlich verlassen und ein Geisterhaus ist.
Lowry erzählt impressionistisch, unverbunden – in oft minutenlangen, statischen, theatralen Einstellungen und im Verhältnis 4:3, wo die Bildbreite nur ein wenig größer ist als die Bildhöhe. Das sollte den Zuschauern signalisieren, dass dies kein traditioneller Spielfilm ist. Der Regisseur operiert weniger mit dem Wort als mit den Kategorien Raum, Bild und Zeit – und in der Inszenierung wortlosen Unglücks gelangt er dabei immer wieder zu hochpoetischen Szenen, etwa wenn sich am Fenster des Nachbarhauses plötzlich ein anderes Bettlakengespenst zeigt und in einem Schriftinsert äußert: »Ich glaube, sie kommen nicht mehr zurück.« Es ist eine Szene abgrundtiefer Einsamkeit. Als dieses Haus dann abgerissen wird, zerfällt der andere Geist sofort.
Der Geist C hingegen darf noch lange den hier nichtchronologischen Kreislauf der Geschichte bezeugen: An der Stelle des Häuschens entsteht eine Firmenzentrale; eine Megastadt wächst und zerfällt wieder; dann stecken Siedler in der Kleidung des 19. Jahrhunderts Land ab und liegen im nächsten Moment tot, mit Indianerpfeilen im Rücken, auf der Wiese.
Der Geist C nimmt das alles in sich auf; er kann indes nicht eingreifen: Während sich die Welt um ihn herum drastisch verändert, verblassen Stück für Stück die Konturen seiner eigenen Existenz. Als passiver Beobachter muss er dabei zusehen, wie ihm das Leben, das er kannte, entgleitet – und wie er mehr und mehr von etwas Individuellem zum Allgemeinen wird. Quasi zum Weltgeist. Letztlich zeichnet dieser Film bei allem Nihilismus ein romantisches Bild der menschlichen Suche nach Sinn und dem, was bleibt, wenn wir nicht mehr sind.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns