Kritik zu Mr. Long
Auch Profikiller haben Gefühle. Man muss sie allerdings mit dem Bagger ausgraben. Der neue Spielfilm des Japaners Sabu nimmt sich Zeit, um die Resozialisierung eines taiwanischen Hitmans in Japan zu zeigen
»Warum passiert das alles?«, fragt Mr. Long, der Titelheld des Films, einmal. – »Weil Du cool bist und nichts sagst.« Dabei hatte Long es nie darauf angelegt, cool zu wirken. Dass er so wenig spricht, hat Gründe. Zum einen gehört es zu seiner Jobbeschreibung: Er ist ein Profikiller – nicht geschwätzig wie die aus dem Tarantino-Club, sondern ein samuraihaft disziplinierter Einzelgänger, der geräuschlos mit dem Messer tötet. Zum anderen ist er in einem Land gestrandet, dessen Sprache er nicht beherrscht. Long ist Taiwaner; er war nach Tokio gereist, um einen Job zu erledigen, aber die Sache lief schief, und er konnte sich gerade noch verletzt in eine heruntergekommene Siedlung retten, dort, wo die Metropole ausfranst. Ein kleiner Junge, der Sohn einer drogenabhängigen Exprostituierten, und eine Gruppe von Japans hysterischer Ökonomie abgehängter, aber gut gelaunter Kleinbürger nehmen sich des Fremden an. Sie lernen Long nicht als Mordmaschine kennen, sondern als Koch, unter dessen Händen selbst schlappe Gemüsereste magische Wirkung entfalten. Long hat offenbar nie die Erfahrung gemacht, dass er der Welt mehr zu geben hat als den Tod. Nun bildet sich ein Fanclub um den stillen Mann, zu dem Jungen (Run-yin Bai) und seiner Mutter (Yi Ti Yao) bildet sich eine innigere Beziehung.
Dass es Komplikationen geben wird und die Vergangenheit den Protagonisten einholt, lässt sich denken. Die Geschichte vom Profi under cover, vom Killer, der ins Bürgerliche abtaucht, ist schließlich nicht neu. Sie hat im Kino Komödien und Thriller hervorgebracht; das Spektrum reicht von »Tödliche Weihnachten«, wo Geena Davis beweist, dass man Karotten »massakrieren« kann, bis zu David Cronenbergs Comicadaption »A History of Violence«. »Mr. Long«, der neue Spielfilm des Japaners Sabu, bewegt sich auf der ernsten Seite. Wobei der aus dem Hongkong-Kino bekannte taiwanische Schauspieler Chen Chang (»Tiger and Dragon«, »The Grandmaster«) diese Geschichte ebenso konzentriert zusammenhält wie Viggo Mortensen die »History of Violence«: mit einer Mischung aus Stoizismus und Empfindsamkeit, stets in der Lage, mit einem Wimpernschlag von der Katatonie in den Actionmodus umzuschalten. Chang wäre auf der Berlinale, wo Mr. Long im Wettbewerb lief, ein Kandidat für den Darstellerpreis gewesen, aber … vorbei.
Was Sabus Film von seinen westlichen Verwandten unterscheidet, sind zunächst die Genrebrüche: »Mr. Long« beginnt als glamourös fotografiertes blutiges Nachtstück in den Hochhaussschluchten von Taipeh und Tokio, um dann in den bedächtigen Realismus des Arthouse-Kinos hinüberzublenden. Im »Arthouse«-Kapitel entfaltet sich das, worum es eigentlich geht: Die Frage, wie wir vom mafiosen Kampf aller gegen alle zu einem Miteinander finden könnten – über alle Grenzen hinweg, transnational (so wie das Kino aus Taiwan, Hongkong, Japan selbst oft funktioniert). Ähnlich wie Valeska Grisebachs »Western«, der kürzlich von einem solchen Kultur-Clash erzählt hat, favorisiert »Mr. Long« nicht die Sprache als Mittel der Verständigung. Der Taiwaner und die Japaner »kommunizieren«, indem sie etwas miteinander tun, durch unentfremdete Arbeit: Während Long Teigtaschen faltet, richten seine neuen Freunde ein Haus und eine Ramen-Bude für ihn her – es scheint das Ideal einer spontan organisierten Kommune auf.
In diesem Modell haben Tradition und Alltagskultur einen wichtigen Platz. Die zenhafte Geduld, mit der Long seine Mahlzeiten zubereitet, der Besuch eines Onsen, einer heißen Quelle, und eine Amateurtheateraufführung im deklamatorischen Kabuki-Stil – Longs Fans fungieren auch als eine Art Chor, der den Krimiplot kommentiert – geben dem Film eine schwebende Stimmung und markieren Glücksmomente, wie sie das Genre kaum kennt. Das ist hinreißend uncool – und führt über die erwartbare Katastrophe hinaus in ein überraschend märchenhaftes, gänzlich »fiktives« Ende.
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