Nahversorger

Kulturspedition Unternehmergesellschaft

Spediteure üben ein interessant uneigentliches Gewerbe aus. Sie handeln nicht mit Waren, sind aber für ihren Umschlag verantwortlich. Sie agieren nicht nach eigenem Gutdünken, sondern im Auftrag. Vermutlich sind im Kinogeschäft ihre Dienstleistungen nicht mehr so gefragt wie noch vor der Digitalisierung. Den Verleihern kann die Vereinfachung der Logistik nur recht sein: Nun müssen nicht mehr an jedem Donnerstag Hunderte von Filmkopien durch die Republik transportiert werden.

Aber vielleicht braucht das Kino immer noch Spediteure. Anders kann ich mir jedenfalls den Namen nicht erklären, den die Zwei, um die es heute geht, ihrer Unternehmung gegeben haben. Seit einigen Monaten firmieren Claudia Rische und Christos Acrivulis als »Kulturspedition« . Ende März haben sie das Kino »Klick« in der Berliner Windscheidstraße 19 in der Nähe des Stuttgarter Platzes wieder eröffnet. 2004 war es wegen Mietschulden der Voreigentümer geschlossen worden. Der Saal mit seinen etwas über 80 Plätzen ist seither intakt geblieben (wurde zwischenzeitlich auch sporadisch als solcher genutzt), aber das Kino war aus der Nachbarschaft verschwunden. Der aktuelle Eigentümer, ein Online-Versand für Selbstgebautes, betreibt im Vorraum eine Art Offline-Concept-Store-Café. Vor zwei Jahren schloss er die Nutzung als Kiezkino noch aus. Diese Entscheidung hat er erfreulicherweise revidiert.

Nun erbringen hier Claudia und Christos eine besondere Transportleistung. Sie tun dies im Auftrag: eines Publikums, von dem man nicht weiß, ob und in welchem Umfang es noch existiert, aber gewiss auch im eigenen. Offenbar hegten sie schon lange den Wunsch, ein Kino zu betreiben. Ich vermute, sie zun es gewissermaßen auch als ihre eigenen Mäzene, denn ihr hauptsächlicher Broterwerb ist ein jeweils anderer. Claudia Rische ist eine hochgeschätzte Presseagentin, die für diverse Festivals arbeitet (unter anderem Braunschweig, das »Panorama« der Berlinale; ich glaube, wir lernten uns kennen, als sie bei der »Viennale« tätig war) und Filmreihen betreut. Sie übt ihr Gewerbe spürbar leidenschaftlich, beharrlich und doch ganz unaufdringlich aus. Auch Christos Acrivulis, der trotz seines griechisch klingenden Namens aus Italien stammt, hat bei Festivals (etwa in Saarbrücken) angefangen und leitet seit gut einem Jahrzehnt den Verleih »missing films« . Die verdienstvolle Arbeit, die er dort leistet, war mir vertraut. Persönlich kennengelernt habe ich ihn erst bei den Besuchen im Kino. Dort begrüßt er das Publikum mit gewissenhafter Jovialität. Er ist gut vernetzt, nicht zuletzt im italienischen Kino. Gemeinsam holen sie häufig Filmemacher ins »Klick« , die dann mit dem Publikum diskutieren.

Die zwei Kinobetreiber bringen nun also wieder Filme in das einst fruchtbare, nun aber unziemlich trocken gelegte Biotop des tiefen Berliner Westens. Die Liste der Kinos, in denen hier seit dem Mauerfall der letzte Vorhang fiel, ist lang; sie war glanzvoll. Das Kinosterben überlebt haben nur das Kant-Kino, das Filmkunst 66, das Cinema Paris sowie, etwas weiter entfernt, die Astor Filmlounge, das Delphi und der Zoopalast. Neugründungen oder Wiedereröffnungen fanden letzthin eher in angesagteren Bezirken wie Kreuzberg und Neukölln statt. Mit der Wiederbelebung des »Klick« ging die »Kulturspedition« in mehrfacher Hinsicht ein Risiko ein. Zugleich knüpfen sich hohe Erwartungen daran: Es müssen alte Sehgewohnheiten wieder erweckt und neue geschaffen werden.

Die Renaissance des Bezirkskinos gehört zu den erfreulicheren tektonischen Verschiebungen im Berliner Kinogeschäft. Selbst die Berlinale hat sich an den Trend angehängt (»Berlinale goes Kiez« ). Das vermutlich erste Beispiel reicht einige Jahrzehnte zurück. Damals wurde das Adria Filmtheater in Steglitz neu herausgeputzt und ich erinnere mich gut, wie begeistert Alteingesessene und Zugezogene damals die Möglichkeit annahmen, aktuelle Filme wieder in der Nachbarschaft sehen zu können und nicht lange in die Innenstadt fahren zu müssen. Wie man mit leidenschaftlichem Engagement und einem agil reagierenden Programm eine enge Zuschauerbindung schaffen kann, führt seit einigen Jahren das wieder eröffnete Bundesplatz-Kino vor (siehe meinen Eintrag »Antizyklisch« vom 24.10.2014). Der Charme und das Wirtschaftsmodell der Kiez-Kinos beruht nicht zuletzt darauf, dass dies kleine, intime Säle sind. Im Österreichischen gibt es die schöne Vokabel dafür: »Nahversorgerkino« .

Meine eigenen Erinnerungen an das »Klick« verbinden sich kurioserweise vor allem mit den Wiederaufführungen von polnischen Klassikern wie »Die Handschrift von Saragossa« und Jerzy Kawelorowicz' »Nachtzug« . Ein Stammgast aus früheren Zeiten hingegen assoziierte es hauptsächlich mit Tarkowski-Retrospektiven. Ein legendärer Dauerbrenner waren die Mitternachtsvorstellungen von »Hellzapoppin« . Ein Filmtheater gibt es in der Windscheidstraße 19 seit dem Jahr 1911. Den Namen »Klick« trug es erstmals vor 70 Jahren. Dieser Geschichte erweisen die neuen Betreiber mit einer sonntäglichen Reihe ihre Reverenz, in der sie die markanten Erfolge noch einmal zeigen, darunter »Die Jungfrauenmaschine« von Monika Treut, »Jules und Jim« , »My Private Idaho« und »Der Kuss der Tosca« von Daniel Schmid. Am besten besucht war in der Retro bisher »Frontstadt« , den der Regisseur Klaus Tuschen 35 Jahre nach dem Start wieder vor vollem Haus präsentierte.

Aber nun ist das »Klick« ein neuer Ort, an den man auch ohne Nostalgie zurückkehren kann: Das Heimatgefühl, das hier entstehen könnte, muss nicht rückwärtsgewandt sein. Das Programm ist anspruchsvoll. Die bisher bestbesuchten Filme waren nach Christos' Angaben »Gaza Surf Club« (mit dem das Kino eröffnetet), »Don't blink: Robert Frank« und »You'll never walk alone« . Der Dokumentarfilm ist stark präsent. Ein Schwerpunkt des Juli-Programms war die Reihe »Klick Queer« , die parallel zum Schwullesbischen Straßenfest in Schöneberg und zum Christopher Street Day lief. Zudem belebt das Kino die Tradition des Kurzfilm im Vorprogramm (es laufen Arbeiten von dffb-Studenten); Werbung habe ich bislang noch keine gesehen.

Zugleich erfüllt das »Klick« den traditionellen Zweck eines Bezirkskinos: Hier hat man die Chance, ausgewählte Filme noch Wochen, ja Monate später zu erwischen. »Die Überglücklichen« von Paolo Virzi lief im »Klick« ein Vierteljahr nach dem Bundesstart sehr gut – in zwei Fassungen, synchronisiert und im Original. (Überhaupt gibt es eine sympathische Voreingenommenheit zugunsten des aktuellen italienischen Kinos, die auf beider Konto geht). Als wir uns vor ein paar Wochen den letzten Kaurismäki anschauten, berichtete Christos von zwei jungen Kinogängern, die am Tag zuvor heilfroh waren, dass er in Berlin überhaupt noch lief. Das Nachspielen ist eine tugendhafte Funktion, die das »Klick« eminent vom »Kant Kino« unterscheidet, das in der unmittelbaren Nachbarschaft liegt. Es bekräftigt auch den Charakter des Programmkinos, von denen es in Berlin ja praktisch keine mehr gibt. Beim Durchsehen meiner Notizen stelle ich fest, dass ich sie nicht nur auf Vorder- und Rückseite des Monatsprogramms geschrieben habe, sondern auch auf einigen Feedback-Zetteln. Die kann man mit Programmwünschen an der Kasse abgeben. Fürwahr, die Kulturspediteure sind hingebungsvolle Dienstleister.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt