»goEast« Filmfestival: Die Pionierinnen
»For Those Who Can Tell No Tales« (2013)
Das Schaffen von Regisseurinnen aus Osteuropa widersetzt sich einer vorschnellen Einordnung. Das ist das Resumé des Symposiums des Wiesbadener »goEast« Filmfestivals. Neben Vorträgen gab es Filme aus über 80 Jahren Filmgeschichte und eine Hommage an die Regisseurin Márta Mészáros
Mit Ildikó Enyedis »On Body and Soul« (Goldener Bär) und Pokot von Agniezka Holland (Alfred-Bauer-Preis) haben gleich zwei Filme der nach dem Krieg geborenen Generation osteuropäischer Regiefrauen bei der letzten Berlinale Auszeichnungen bekommen. Damit reihen sie sich in eine Tradition des Erfolgs ein. Denn von den bisher nur fünf weiblichen Goldbär-Gewinnerinnen kamen gleich vier aus Osteuropa. Und während Enyedis Liebesgeschichte bei aller Schönheit in der Figurenkonstellation doch eher traditionelle Genderrollen erfüllt, zeigten neben Pokot auch die früheren Gewinnerfilme von Jasmila Žbanić (Esmas Geheimnis, 2006), Larissa Schepitko (Aufstieg, 1977) und Márta Mészáros (Adoption, 1975) neben weiblicher Autorschaft auch Frauenfiguren, die sich am traditionellen Rollenverständnis reiben.
Überhaupt fielen die im Westen kursierenden Filme von Regisseurinnen aus Osteuropa und der Sowjetunion oft durch das Problematisieren traditioneller Lebensentwürfe und weiblicher Mehrfachbelastung auf oder mischten Rollenbilder subversiv auf: Bekanntestes Beispiel wohl Vera Chytilovás im Westen zum feministischen Kultfilm avanciertes surreal-anarchisches »Tausendschönchen« (1966). So wurden sie von westlichen Wissenschaftlerinnen, Filmkritikerinnen und Kolleginnen oft ungefragt für die feministische Streitkraft mit Beschlag belegt. Eine Eingemeindung, gegen die sich viele (aber nicht alle: Ausnahme Jasmila Žbanić) der Filmfrauen mit unterschiedlicher Vehemenz wehrten, auch wenn sie, wie etwa die ungarische Regisseurin Márta Mé-száros, die Bedeutung eines anderen weiblichen Blicks durchaus verteidigen. Einen Widerspruch, den nun ein filmhistorisches Symposium beim Wiesbadener goEast-Festival programmatisch im Titel »Feministisch wider Willen« aufgriff — eine der möglichen Übersetzungen des Begriffs »reluctant feminism«, mit dem die Filmhistorikerin Dina Iordanova 2003 in ihrem Buch »Cinema of the Other Europe« versucht hatte, die Dialektik aus Fremdzuschreibungen und Selbstverständnis bei den Regisseurinnen aus dem Exsozialismus neutral zu beschreiben.
In ihrem Konzept für die Tagung knüpfte die Berliner Filmwissenschaftlerin und Slawistin Barbara Wurm außerdem ganz bewusst an die Retrospektive »Aufbruch der Autorinnen« im Zeughaus-Kino 2015 an, die erstmalig gezielt osteuropäische Filmemacherinnen in die Analyse der 1960er Jahre einbezogen hatte. Doch die Zeiten haben sich seitdem verändert. Und ähnlich wie Agnieszka Hollands lange vor der PiS-Herrschaft konzipierter Film Pokot durch die politische Entwicklung in Polen mit neuen öko-feministisch aktivistischen Zuschreibungen ins Zentrum politischer Debatten gerät, hat die Zuspitzung der Weltlage auch das Wiesbadener Symposium zum Statement gegen die neuen Männertümeleien in Ost und West gemacht: »Affirmative Action Now!« heißt es für dieses Format ungewöhnlich kämpferisch in Wurms lesenswerter Einführung im Katalog. Und auch das gemeinsame Resüme nach drei Tagen Tagung klang mit dem Aufruf zu weiterer vernetzter Forschung mehr nach Aktivismus als nach Studierstube.
Dazwischen historische Kärrnerarbeit: Vorträge von Wurm, Pavla Frýdlova, Beáta Hock, Cornelia Klauss und Agnieska Wiśniewska widmeten sich den Kinematografien von Sowjetunion, CSSR, Ungarn, DDR und Polen unter dem Aspekt weiblicher Teilnahme und schärften den Blick für die westlichen Zuschreibungen. Zu entdecken waren dabei auch viele fast vergessene, oft von harten Schicksalen geprägte Protagonistinnen weiblicher Filmgeschichte: Margarita Barskaya etwa, deren erfolgreicher im Elendsmilieu des proletarischen Hamburg angesiedelter Kinderfilm »Zerrissene Stiefel« von 1933 als interessante frühe Spiegelung heutiger Drittwelt-Elendsdramen erscheint. Mit nur 36 Jahren nahm sie sich nach einer kurzen Karriere das Leben. Oder die bulgarische Expartisanin Binka Zhelyazkova, die mit ihren kritischen Spielfilmen im Lande gegen tausend Widerstände ankämpfte und international Festivalerfolge feierte.
Auffällig, dass gerade nach der Wende viele dieser weiblichen Stimmen zwischen neuen Kommerz- und Glamouranforderungen untergingen. Auffällig auch, dass viele über Beziehungen oder Mentorschaft zu gestandenen Regisseuren aus klassischen Filmfrauensparten wie Kostüm oder Schauspiel in die Regie »aufgestiegen« waren, dann aber schnell wieder in der zweiten Reihe landeten oder statt der großen (Spielfilm-)Form »nur« Wochenschauen drehen durften. Doch es gab auch die von Olaf Möller vorgestellte — noch erstaunlich unerforschte — Vera Stroyeva, die in der Sowjetunion 50 Jahre lang erfolgreich mit monumentalen Revolutionsepen wie »Wir, das russische Volk« (1965) und Opernfilmen im Mainstream agierte. Wurms These, dass sich in Stroyevas Arbeiten »entlang einer (. . .) formalen Konformität vorsichtig ein weiblicher Blick« herausschäle, blieb nicht unwidersprochen und konnte auch in der vorbildlich mit vielen 35-mm-Kopien bestückten Retrospektive zum Symposium nur punktuell überprüft werden. Überhaupt sind derzeit zu viele Filme für die Forschung gar nicht oder wegen fehlender Digitalisierung nur schwer verfügbar.
Ähnlich verhält es sich mit dem über 60 Filme umfassenden Werk der ungarischen Altmeisterin Márta Mészáros, der mit zehn Arbeiten eine an das Symposium angelehnte Hommage gewidmet war. Mit dabei auch der ehemalige Bären-Gewinner »Adoption«, der die titelgebende Adoptions-geschichte mit vielen motivischen Spiegelungen zum Anlass für die Studie der fragilen Freundschaft zweier Frauen nimmt. Heimzögling Anna sucht bei der älteren allein lebenden Fabrikarbeiterin Kata eigentlich nur ein Zimmer, um ungestört mit ihrem Freund zusammenzusein. Diese wiederum ringt mit ihrem verheirateten Geliebten, der ihren Kinderwunsch ablehnt. Das Besondere an Mészáros' Film ist, dass sich diese und andere Konflikte hier in der tagtäglichen Ödnis familiären Zusammenlebens zu neuer Energie umwandeln, statt wie filmüblich dramatisch aus- und hochgespielt zu werden. So steht im Zentrum ein subtil inszenierter augenöffnender Besuch Katas bei Familie und Ehefrau des Geliebten, der bei ihr die — nie ausgesprochene — endgültige Trennung von ihm auslöst.
Gelernt hatte Mészáros das Handwerk in den 1950ern an der Moskauer Filmhochschule. In die UdSSR hatte die 1931 in Budapest geborene Regisseurin aber auch persönliche Bindungen, als Kind war sie 1936 mit den Eltern, beide Künstler, nach Kirgisien emigriert. Dort folgten traumatisierende Erfahrungen, als der Vater schon zwei Jahre später in den stalinistischen Verfolgungen verschwand (und, wie man heute weiß, starb) und 1942 die Mutter einer Krankheit erlag. Die Repression und das Aufwachsen in Kinderheimen und bei einer Adoptivmutter sollten wesentlicher Stoff ihrer oft autobiografisch geprägten Filme in den nächsten Jahrzehnten sein.
So auch ihr 1968 entstandenes Spielfilmdebüt »Das Mädchen« — der erste von einer Frau realisierte Spielfilm Ungarns. Er schickt seine Heldin aus einem Heim auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern. Auch hier gelingt Mészáros aus dem konventionellen Sujet mit dokumentarischen Settings und einem abweichenden Blick auf die Geschlechterverhältnisse die Schilderung einer Selbstbefreiung aus einer bedrückenden Welt voll unterdrückter Widersprüche. Dabei bekommt in diesen beiden frühen Filmen auch die Arbeit in der Fabrik ein im Kino seltenes Gewicht und gibt den Körpern der Frauen eine eigenständige Präsenz jenseits erotischer Zuschreibungen.
Die Verknüpfung mit dem Heute gelang beim Symposium durch einige eingeladene junge Filmemacherinnen und (feministische) Aktivistinnen, aber auch durch direkte Bezüge zwischen Festival und Retro. Besonders schön zeigte das ein Blick auf den im Wettbewerb doppelt ausgezeichneten georgischen Film »Meine glückliche Familie« (Nana & Simon), der mit seiner Geschichte vom Ausbruch einer mittelalten Ehefrau und Mutter aus den Zwängen des Familienlebens ganz offensichtlich von Lana Gogoberidzes autobiografisch angehauchtem »Einige Interviews zu persönlichen Fragen« aus dem Jahr 1978 inspiriert war. Nicht nur der Humor ist in beiden Filmen ähnlich, auch am patriarchal geprägten Familienleben in Tiflis hat sich wenig geändert. Gogoberidze und Mészáros — beide in Wiesbaden zu Gast — fühlen sich auch in ihren Mittachtzigern noch als Filmemacherinnen gebraucht.
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