Interview mit Sonia Kennebeck über ihren Film »National Bird«
»Regisseurin Sonia Kennebeck«
Frau Kennebeck, wie sind Sie auf das Thema Drohnenkrieg gekommen? Hat sich das aus Ihren früheren Arbeiten entwickelt?
Ja. Ich komme aus dem investigativen Journalismus und habe schon einige Filme zum Thema gemacht, über traumatisierte Veteranen und Militärthemen. Das Drohnen-Thema hat mich fasziniert – in Zeitungsberichten wurde es oft kommentiert, ohne dass man wirklich weiß, welche Auswirkungen es auf die Menschen hat. Das war mein Ansatz, ich wollte mit den Menschen sprechen, die wirklich davon betroffen sind – solchen, die direkt im Drohnen-Programm gearbeitet haben, und solchen auf der anderen Seite, die vor Ort in den Ländern, wo Drohnenanschläge verübt werden, davon betroffen sind.
Dies ist Ihr erster Kinofilm. Hat das gegenüber der Fernseharbeit noch einmal ein Umdenken erfordert?
Ja, fürs Fernsehen habe ich Beiträge von 30, 45 und einmal 60 Minuten gemacht. Da war es schon so, dass die Dramaturgie anders aufgebaut werden muss: 90 Minuten bedeuten schon eine sehr viel längere Zeitspanne, über die man die Aufmerksamkeit der Zuschauer fesseln muss. Es war schon von Anfang an mein Ansatz, die Menschen zu begleiten. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sich das entwickelt, bin aber auch offen geblieben für Entwicklungen. Ich hatte am Anfang in meinem ersten Konzept schon einmal überlegt, dass es eine Verbindung zwischen den USA und Afghanistan geben könnte. Dann traf ich Lisa, die sagte, sie reist nach Afghanistan und wollte auch in den Irak reisen – »bis zum Ende ihres Lebens“, wie sie selber sagte, sie war von dem Gedanken der Wiedergutmachung geprägt. Von daher ergab sich der Charakter eines Films, der durch seine Protagonisten bestimmt wird. Die Filme, die mich faszinieren, sind die, die an den Menschen ganz dicht dran sind.
Hatten Sie anfangs mehrere mögliche Protagonisten zur Auswahl und haben sich schließlich auf diese drei konzentriert?
Ich kenne mittlerweile mehr, bin im Verlauf der Recherche immer mehr hineingekommen in diese Welt. Die erste, die ich gefunden habe, war Heather. Ich bin wiederholt auf Veteranentreffen gewesen und habe dort auch Lisa kennen gelernt, die eigentlich anderen nicht erzählt, dass sie im Drohnenprogramm tätig war. Eigentlich sind sie alle sehr verschwiegen. Lisa hat gegenüber einer Freiwilligen, die sie vom Flughafen abholte, kurz erwähnt, dass sie im Drohnenprogramm tätig war. Dieselbe Frau hat dann mich abgeholt, So habe ich Lisa getroffen. Kurz davor hatte ich schon Daniel kennen gelernt. Die Leute aus dem Drohnenprogramm sind generell nicht leicht zu finden, weil sie die höchste Sicherheitsstufe hatten - selbst die engsten Freunde wissen zum Teil gar nicht, was sie gemacht haben. Die drei Protagonisten fand ich von Anfang an sehr toll, weil sie so unterschiedlich sind. Heather ist eine junge Frau, die ist am dichtesten dran war, die das Live-Videobild der Drohnen analysiert hat und eben auch die Leichenteile zählen musste. Und – was einen großen Teil ihres Traumas ausgelöst hat – sie musste auch die weitreichende Entscheidung treffen, ist der Mensch, den ich da auf dem Videobildschirm sehe, ein Terrorist oder ein Zivilist? Diese Entscheidung führt letztendlich dazu, dass ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen getötet wird. Lisa ist jemand mit sehr viel Erfahrung, jemand, der schon früh ins Militär eingetreten ist, zunächst als Krankenschwester, sie hat also eine sehr interessante Entwicklung gemacht. Daniel ist von der Luftwaffe zu dem privaten Unternehmen gekommen, hat also noch einmal eine andere Entwicklung gemacht.
Ist der Weg der drei an die Öffentlichkeit parallel zu den Dreharbeiten gelaufen, wurde er durch den Film forciert, oder aber mussten sie sich erst öffnen, bevor sie das im Film machen konnten?
Nein, das ist wirklich mit dem Film passiert. Ich glaube, ich kam auf sie zu an einem Punkt, wo sie sich gerade überlegten, an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Gedanke war schon da gewesen, über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Nicht ein einziger von ihnen hatte einen klaren Plan, aber ich hatte das Gefühl, sie hatten den Wunsch, über ihre Erfahrungen zu reden. Ich habe mich auch sehr oft mit ihnen getroffen, bevor ich die Kamera zum ersten Mal eingeschaltet habe. Das war erst einmal ein Prozess des gegenseitigen Kennenlernens und der Vertrauensbildung. Ich muss ja auch wissen, ob sie über eine so lange Zeit durchhalten können, denn das ist ja auch für mich ein großer Arbeitsaufwand - das ist also immer beidseitig. Bis wir das erste Mal gedreht haben, vergingen vier bis fünf Monate.
Hatten die Protagonisten auch bestimmte Fragen, Anforderungen an Sie?
Wichtig war, dass ich schon zum selben Thema gearbeitet hatte. Auch, dass wir bei der Produktion auf Sicherheit geachtet haben, etwa e-mails verschlüsselt haben. Das Verständnis dieser operativen Sicherheit, ebenso, dass sie über viele Dinge nicht reden dürfen, war essentiell. Von den ersten Fördermitteln habe ich einen Rechtsanwalt engagiert. Und ich habe darüber hinaus mit einer bekannten Whistleblower-Anwältin zusammengearbeitet, die auch Edward Snowden beraten hat.
Im Nachspann ist zu lesen, dass keiner der beteiligten Protagonisten Geheimnisse preisgegeben hat. War das von vornherein eine Übereinkunft? Oder hat sich das während der Arbeit durch Gespräche mit Juristen entwickelt?
Es war keine Übereinkunft von Anfang an, aber mir war die Verantwortung schon sehr bewusst. In dieser Zeit, wo die Überwachung so einfach ist, ist es kaum möglich, eine anonyme Quelle zu wahren.
Wie haben Sie denn das Vertrauen der Menschen in Afghanistan gewonnen? Das stelle ich mir noch schwieriger vor.
Ich weiß nicht, ob es noch schwieriger war. Die Protagonisten mit Sicherheitsfreigabe, gerade Lisa, sind sehr vorsichtig. Lisa hat auch sehr viel recherchiert, hat sehr viele Fragen gestellt. Bei den Protagonisten in Afghanistan war der Wunsch wirklich sehr ausgeprägt, eine Stimme zu haben, zu sprechen und ihre Geschichte der Öffentlichkeit zu erzählen. Bevor ich überhaupt nach Afghanistan gereist bin, habe ich mit einem anderen Angehörigen eines Drohnenopfers gesprochen und der hatte mir damals schon gesagt: für uns in Afghanistan gibt es das Gefühl, als seinen wir in einem Gefängnis, weil wir niemandem sagen können, was uns widerfahren ist. Wir haben keine Stimme, wir können niemanden anklagen, wir können noch nicht einmal jemandem davon erzählen, weil wir nicht die Mittel dafür haben. Das ist mir sehr im Gedächtnis geblieben. Um uns jetzt zu treffen, mussten diese Menschen drei Tage anreisen, weil der Ort, wo sie leben, für Ausländer nicht zugänglich ist. Das erste, was sie sagten, war »Vielen Dank, dass Ihr uns eine Stimme gebt.“
Die für mich eindringlichste Szene war die, wo man einen Drohneneinsatz in der Kommandozentrale miterlebt: das war ein Reenactment?
Ja, Bild und Ton sind nachgestellt. Ich habe mehrere »freedom of information act-Anfragen in den USA gemacht: Beim ersten Mal wurde geantwortet, dass das Material geschützt ist, beim zweiten Mal hieß es, sie können das Material nicht finden – das hat sich über mehrere Monate hingezogen. Ich hatte bis zum Schluss auf eine Freigabe gehofft, weil das Transkript – bis auf kleine Passagen – freigegeben ist. Dann hatte ich aber parallel schon begonnen, das nachzustellen. Die Protagonisten sagen, es ist sehr realistisch. Das war ein sehr gut vorbereiteter, teurer Drehtag mit zwanzig Statisten, auch Kindern – die arbeiten übrigens auch alle bei der Fernsehserie »Homeland“.
Es ist also nicht alles digital?
Nein, wir hatten auch Pyrotechniker vor Ort und konnten Fotos nutzen, die vom Ort danach gemacht wurden. Ich habe mich für diesen Fall entschieden, weil es darüber eine Akte gab. Die enthielt sogar die Krankenakten der Überlebenden.
Haben Sie den Eindruck, dass der Begriff »Whistleblower« in den USA mittlerweile positiver besetzt ist? Oder hängt das davon ab, mit wem man spricht?
Ich glaube, es ändert sich ein wenig. Vor einigen Jahren war das relativ negativ besetzt, es hat sich geändert, weil es mittlerweile auch positive Stimmen zu Snowden gibt. Aber die Stimmung im Land ist doch sehr unterschiedlich. Ich wundere ich, wie wenig berichtet wird in den Medien. Insofern hinterließ der Film auf amerikanischen Festivals einen emotionaleren Eindruck.
Der ehemalige General sagt im Film einmal, »Du weißt nicht, was vor sich geht – Du weißt nur, was Du zweidimensional siehst.“ Ist das eine Einsicht, die sich mittlerweile auch bei Politikern durchsetzt? Oder gilt der Drohnenkrieg immer noch als Allheilmittel?
Ich glaube, die offizielle Linie ist noch, dass das ein sauberes und präzises Programm ist. Ich hoffe, dass wir eine Diskussion anstoßen, wenn der Film in den USA in die Kinos kommt.
Sie haben Wim Wenders und Errol Morris als Executive Producers gewinnen können…
Ich habe Wim Wenders schon sehr früh angesprochen. Meine Idee war, durch bekanntere Executive Producers das Projekt zu schützen. Damit sollte es schwieriger sein, mich und mein Team unter Druck zu setzen – auch die Whistleblower stehen in den USA enorm unter Druck. Ich habe Wenders bei einem Treffen ein work-in-progress gezeigt. Er bot seine Unterstützung an, zusammen haben wir einige Monate später Errol Morris kontaktiert. Wenn ich schon zwei so große Filmemacher auf meiner Seite hatte, wollte ich sie natürlich auch einbinden und ihre Meinung erfahren. Wenders hat einen Rohschnitt und einen Feinschnitt gesehen, Morris einen Rohschnitt - beide haben mir Feedback gegeben.
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