Kritik zu Born to be Blue
Nach dem Tod die Wiedergeburt: 2009 drehte der Kanadier Robert Budreau den Kurzfilm »The Deaths of Chet Baker«, nun schildert er die Rehabilitation der vom Leben versehrten Jazzlegende
Die Kränkung sitzt tief. »Komm wieder, wenn du etwas gelebt hast«, hatte Miles Davis zu ihm gesagt, als er 1954 zum ersten Mal im »Birdland« auftrat, vor den Augen und Ohren der New Yorker Jazz-Aristokratie. Auch Dizzy Gillespie saß im Publikum. Chet Baker kam gut an an diesem Abend, aber Davis' Urteil löschte die Freude über den Erfolg aus. In seinen Worten mochte Herablassung stecken gegenüber dem sonnigeren West-Coast-Jazz und vielleicht Neid über die Begeisterung, die der »James Dean des Jazz« bei den weißen Backfischen auslöste. Aber den Vorwurf, sein Spiel sei erfahrungslos, konnte Baker nicht von sich weisen. Er floh in seine Garderobe und ließ sich von einem Groupie zum ersten Mal Heroin spritzen, während er Davis auf der Bühne spielen hörte.
In Wahrheit hat es sich nicht ganz so zugetragen. Aber als wehmütiger Anstoß für Robert Budreaus Biopic ist die Szene plausibel; zumal sie das (nach der Trompete) zweite Requisit dieses Lebens, das Spritzbesteck, bereits ins Spiel bringt. Ohnehin ist der Episode ein zweiter Boden eingezogen, denn sie taucht auf in einem fiktiven Spielfilm, in dem Baker 1966 sich selbst spielt. Die schwarz-weißen Film-im-Film-Szenen werden »Born to Be Blue« fortan als Erinnerungsfetzen heimsuchen. Budreau nimmt sich lässliche Freiheiten, kombiniert verbürgte Ereignisse und Personen (namentlich den Plattenproduzenten Dick Bock, der Baker ein skeptisch gewährender Mentor bleibt) mit erdachten (einer aufstrebenden Schauspielerin, die Bakers Rettungsanker sein könnte).
Der Film stellt den Musiker (Ethan Hawke) an seinem spirituellen Tiefpunkt vor: In einem italienischen Gefängnis sieht er eingangs im Delirium eine Vogelspinne aus dem Trichter seiner Trompete kriechen. Das Filmangebot aus Hollywood könnte ein Neuanfang werden. Seine Leinwandpartnerin Jane (Carmen Ejogo) lässt sich zögernd auf eine Beziehung mit ihm ein. Als Bakers Dealer ihm den Kiefer brechen und seine Vorderzähne zertrümmern, scheint seine Karriere vorüber. Die Schauspielerin spornt ihn an, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen und ein Comeback zu versuchen.
Bakers Antlitz gehört untilgbar zum Bildgedächtnis des 20. Jahrhunderts: William Claxtons Fotografien beschwören das romantische Versprechen, das der Mann mit dem kantigen Gesicht und der femininen Gesangsstimme in den 50ern ausgab; Bruce Webers »Let's Get Lost« dokumentiert sein Nachleben als robuste Ruine. Budreau setzt sich weitgehend geschickt von dieser ikonografischen Überlieferung ab. Bisweilen jedoch gleiten seine Bildfindungen auf das Niveau der Postkartenelegie (Trompetensoli im Gegenlicht der untergehenden Sonne) herab. Dem stehen das Motiv des Tunnels als einer Angstmetapher sowie die atmosphärische Konzentration der Musikpassagen gegenüber. Hawke trifft den leichtfertigen Charme und die gefährliche Arglosigkeit des Junkies hinreichend gut. Ejogo, die gerade in »Alien: Covenant« einen allzu kurzen Auftritt hat, gelingt es, ihre undankbare Rolle in ein moralisches Kraftfeld zu verwandeln. Fast möchte man glauben, dass diese Liebe dauern und Baker nie wieder rückfällig werden wird.
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