Kritik zu Amerikanisches Idyll
Ewan McGregor verfilmt in seinem Regiedebüt den preisgekrönten Roman von Philip Roth und verwandelt die Geschichte über das trügerische Bild, das man sich bisweilen vom Glück anderer macht, in das Martyrium eines Vaters, dem die Tochter auf tragische Weise entgleitet
Woran mag es nur liegen, dass man von den Helden der Jugend später oft gar nichts mehr hört? Viele der vielversprechenden und von allen bewunderten Teenager scheinen ihren Zenit schon mit der Schulzeit überschritten zu haben und bringen es im späteren Leben häufig nicht zu sonderlich bemerkenswerten Leistungen. Doch Nathan Zuckerman (David Strathairn), der zu den wiederkehrenden Figuren im Werk von Philip Roth gehört und als Schriftsteller deutliche Züge eines Alter Ego trägt, freut sich auf das Klassentreffen, 45 Jahre nach dem Schulabschluss. Und ist besonders gespannt auf seinen ehemaligen Klassenkameraden Seymour Levov (Ewan McGregor), einst ein attraktiver Sonnyboy und eine Sportskanone, die der Schule viele Pokale bescherte. Einer, dem auch danach alles zuzufliegen schien: eine eigene Firma, ein tolles Haus, eine schöne Frau (Jennifer Connelly), eine zauberhafte Tochter (Dakota Fanning). Doch zum Klassentreffen erscheint nur sein Bruder – und der erzählt Nathan eine ganz andere Geschichte.
Der Film taucht daraufhin ab in die späten sechziger Jahre, die der Kameramann Martin Ruhe völlig unaufgeregt mit der pastoralen Ruhe vergangener Zeiten einfängt, als die amerikanische Welt noch in Ordnung war, bevor sie von der Unruhe des Vietnamkrieges erfasst wurde.
Der Schotte Ewan McGregor hat diesen amerikanischen Stoff zu seinem Spielfilmdebüt erkoren – zum einen weil er den Helden unbedingt spielen wollte, zum anderen weil er schließlich mit der Übernahme der Regieverantwortung das lange stagnierende Projekt endlich ins Rollen bringen konnte. Während der 1998 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Roman durch die reflektierende Perspektive des Außenstehenden geprägt ist, erzählt Ewan McGregor eher mit dem besorgten Blick eines Vaters, der selbst Kinder an der Schwelle zur Ablösung vom Elternhaus hat. Die normale Sorge und Trauer von Eltern, deren Kinder das Haus verlassen, spitzt sich dabei zum Drama zu. Als Schauspieler lässt McGregor seinen Seymour »The Swede« Levov zwischen natürlichem Charme und wachsender Sorge oszillieren, eine Kombination, die er inzwischen fast schlafwandlerisch absolviert.
In Aufruhr gerät Levovs scheinbar unantastbares Mittelklasseleben, als in seiner Heimatstadt in einer Tankstelle eine Bombe explodiert. Die noch relativ distanzierte Erschütterung weicht bald echtem Entsetzen, als sich die Hinweise verdichten, dass seine Tochter dringend tatverdächtig ist. Als Merry Levov zeigt Dakota Fanning völlig neue Facetten, in einer aufregenden Mischung aus durchscheinender Verletzlichkeit, herzzerreißender Verlorenheit und rohem Trotz.
Obwohl die Ereignisse Ende der sechziger Jahre ihren Lauf nehmen, entwickeln sie eine brennende Aktualität, gerade auch in der heutigen Zeit, in der Kinder auf der Suche nach Sinn und Perspektive zum IS oder zu anderen fundamentalistischen Organisationen überlaufen oder zu Amokläufern werden. Was muss passieren, damit Kinder vom Lebensstil der Eltern so angewidert sind, dass sie sich nur noch mit Sprengsätzen zu helfen wissen? Was können Eltern tun? Wie können sie die Zeichen deuten, bevor es zum Äußersten kommt? Und wie können sie sich gegenseitig stützen, statt sich mit Schuldzuweisungen zu zerfleischen? Über den aktuellen Bezug zum islamistischen Terror klingen da in Deutschland schnell auch Erinnerungen an die RAF-Terroristen nach, deren Eltern sich dieselben Fragen stellen mussten. Die Leerstelle, die ein erwachsenes Kind, das wie Merry nach dem Anschlag jahrelang im Untergrund verschwindet, im Leben der Eltern hinterlässt, ist das beklemmende Kraftfeld des Films, in dem viele Geschichten verlorener Kinder nachklingen. Mit dieser Fokussierung hat Ewan McGregor einen neuen und brennend aktuellen Ansatz gefunden, für das Buch eines Autors, der nie Kinder hatte.
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