Interview mit François Ozon über seinen Film »Frantz«
François Ozon am Set von »Frantz« (2016). © X-Verleih
Monsieur Ozon, dem Vorspann von »Frantz« ist zu entnehmen, dass der Film frei nach einem Film von Ernst Lubitsch entstand, der wiederum auf einem Bühnenstück basiert. Welche Wichtigkeit hatten diese beiden Werke für sie?
Das Stück von Maurice Rostand, entstanden in den zwanziger Jahren, war das erste, was ich entdeckt habe. Er ist ein heute vollkommen vergessener Autor – man kennt nur noch seinen Bruder, den Verfasser von »Cyrano de Bergerac«. Als ich sah, dass Lubitsch es bereits für die Leinwand adaptiert hatte, dachte ich, das könne ich vergessen. Doch als ich mir seinen Film anschaute, stellte ich fest, dass er nur aus dem französischen Blickwinkel erzählt ist. Ich dagegen interessierte mich vielmehr für die Perspektive der jungen deutschen Frau. Daraufhin habe ich viel verändert gegenüber den Ausgangsmaterialien. Da Rostand Autor war, Lubitsch aber Filmemacher, habe ich eher Sachen von ihm als von Rostand behalten – und alles, was in Frankreich spielt, neu hinzugefügt. Bühnenstück und Lubitschs Film enden übrigens beide mit einem Happy End.
Sie haben die Bitte geäußert, das Geheimnis nicht zu verraten, der ursprüngliche Titel von Lubitschs Film benennt allerdings präzise, worum es geht. Hatten Sie nie die Befürchtung, dass die cinephilen Franzosen deshalb dieses Spannungsverhältnis nicht spüren würden?
Der Film hat in der Tat im Amerikanischen zwei Titel, »The Man I Killed« und »Broken Lullabye«, ich bat die Journalisten, doch nur den letzteren zu verwenden. Zum Glück ist es ein Lubitsch-Film, der nicht so bekannt ist, denn er war damals ein großer Kassenflop, vielleicht auch, weil es das einzige Drama war, das Lubitsch je inszeniert hat. Der ursprüngliche Titel war »Broken Lullabye«, aber da es damals sehr viele Thriller gab, hat man sich seitens des Verleihs entschlossen, ihn umzutiteln in »The Man I Killed«, aber auch das bewirkte keinen Kassenerfolg.
Durch das Suspense-Element des Films musste ich auch an den Meister des Suspense, Alfred Hitchcock, denken. Der hat in seinem Film »Die rote Lola« mit einer Rückblende gearbeitet, die sich später als Lüge erweist, was er im Nachhinein für problematisch hielt. Auch Sie arbeiten damit. Hat Ihnen das je Kopfzerbrechen bereitet?
An Hitchcock habe ich nicht gedacht, das ist ein Film, den ich vor langer Zeit gesehen habe und nicht mehr gut erinnere. Die ganze Herausforderung besteht ja darin, die Lügen zu zeigen – aber ist nicht jede Erinnerung eine Lüge, weil Erinnerungen immer wieder bestimmte Dinge ausblenden? Am Anfang denkt man, man erfährt die Wahrheit, dann erkennt man, es ist eine Lüge. Aber am Ende ist man sich da nicht mehr so sicher.
»Frantz« ist in Schwarzweiß, aber es gibt eine Reihe wichtiger Momente in Farbe. Zuerst denkt man, das sind die Rückblenden, die Momente der Erinnerung bzw. wenn es um Frantz geht. Doch das ist nicht so. Hatten Sie eine Leitlinie für die Farbmomente?
Das war eine große Diskussion, die ich mit den französischen Produzenten des Films geführt habe, die verlangten, dass das eine gewisse Logik habe. Doch das wollte ich nicht; ich wollte, dass es eher etwas Sensuelles ist, etwas, das man auch fühlen kann. Die Farbe hat durchaus einen unterschiedlichen Sinn im Film: manchmal hat sie mit Erinnerung zu tun, manchmal auch mit Lust, manchmal mit dem Drama, aber ich wollte einfach nicht, dass der Einsatz der Farbe zu rational ist. Es waren ursprünglich mehr Szenen in Farbe vorgesehen, aber am Schluss habe ich vieles in Schwarzweiß belassen, weil ich im Schnitt merkte, was in Schwarzweiß funktionierte und was nicht. Es war, wie gesagt, keine intellektuelle Entscheidung, sondern die Freude, Farbe zu sehen. Die Farben, die eher Pastellfarben sind, beschäftigen nach meinem Eindruck auch eher die Kritiker als das Publikum.
Sie haben demnach den ganzen Film in Farbe gedreht und erst im Anschluss die Entscheidung über Farbe und Schwarzweiß gefällt?
Das Problem war einfach dass es kein 35mm-Material in Schwarzweiß mehr gibt. Mein Chefkameramann wollte natürlich wissen, welche Szenen in Farbe und welche in Schwarzweiß sind, weil er das entsprechend ausleuchten wollte. Das hat zu vielen Diskussionen geführt: bei einigen Szenen wusste ich es genau, bei anderen hatte ich noch meine Zweifel. Er musste es dann ausleuchten, dass es in beiden funktionierte.
Sie bevorzugen Film gegenüber digitalem Dreh?
Ja, obwohl ich auch schon digital gearbeitet habe.
Sie zeichnen auch selber für die Kameraführung verantwortlich…
Schon als Jugendlicher habe ich die Super-8-Kamera meines Vaters benutzt und habe auch bei meinen ersten Kurzfilmen die Kamera selber geführt. Als ich dann auf die Filmhochschule. die FEMIS, kam, hat man mir etwas anderes beigebracht, aber ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich selber dieser Schwenker sein musste, der die Kamera bewegt – weil ich daran gewohnt war und weil ich so auch einen ganz anderen Kontakt zu meinen Schauspielern habe. Seitdem habe ich es immer beibehalten – ich bin jetzt vielleicht nicht der größte Techniker, aber es ist mir wichtig, dass ich diese Bewegung ausführe und dabei nah an meinen Schauspielern dran bin.
Ich habe gelesen, dass sie dabei auch mit ihnen reden. Heißt das, dass Sie den Originalton gar nicht benutzen können, oder kann man das mittlerweile herausfiltern?
Dabei kann man heute schon Wunder vollbringen, manchmal muss der Schauspieler später etwas nachsynchronisieren, aber es sind ja auch nur kurze Anweisungen, die ich gebe.
Das klassische Melodram zielt auf Überwältigung und verlangt nach einem entsprechend dramatischen Schluss, Liebe oder Tod. Das ist hier anders. War das je eine Frage für Sie, wie das Ende des Films aussehen sollte?
Nein, für mich war das Ende klar, denn ich erzähle von der Emanzipation einer jungen Frau, die es am Ende schafft, sich von dem Schmerz zu trennen – ein Happy End, das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, weil es sich bei dem Gemälde, das sie am Ende sieht, um ein Bild des Todes handelt. Aber sie sieht das ja aus einer gewissen Distanz, die sie von dem Schmerz und dem Leiden entfernt.
Literatur-Tipp
Filmkonzepte #43 – Francois Ozon
2016, 105 S., farb. Abb., 1. Auflage
ISBN 978-3-86916-511-0
€ 20,00
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