Nahaufnahme von Bouli Lanners
Bouli Lanners in »Alle Katzen sind grau«
Bouli Lanners kommt als eine Art belgischer John Goodman daher, hat als Regisseur und Schauspieler aber fast ein eigenes Genre geschaffen: die Lannershaftigkeit
Vielleicht hat es ja etwas mit diesem diffusen Licht zu tun, bei dem der bedeckte Himmel in die graue Nordsee übergeht und eine gewisse Melancholie erzeugt. Oder vielleicht mit der Situation eines kulturellen und sprachlichen Hybrids zwischen frankophon und flämisch, Paris und London. Jedenfalls kommen aus Belgien immer aufs Neue Off-Beat-Komödien, deren poetisch-derber Humor von hinten durch die Brust ins Auge trifft; mental der Exzentrik der Monty Pythons und den existentialistischen Helden Aki Kaurismäkis näher als den eitlen Pariser Sarkasmen; zugleich mit einem Hang zur wütenden Anarchie, wie man ihn von weiter südlich gewohnt ist.
Einer der Hauptakteure dieser lebendigen Szene ist der 50-jährige Bouli Lanners. Er studierte in Lüttich Malerei, bestritt in den 80ern Ausstellungen und arbeitete als Fernsehausstatter. Als Darsteller in der Sketch-Comedy-Sendung »Les Snuls« und mit einer ersten Kinorolle in Jaco Van Dormaels »Toto der Held« wandte er sich bald dem Film zu.
Seit 1999, als sein erster Kurzfilm »Travellinckx« auf internationalen Festivals die Runde machte, hat Lanners seine Berufung in seiner Doppelfunktion als Regisseur und Schauspieler gefunden. »Alle drei bis vier Jahre mache ich einen eigenen Film«, dazwischen schaut der Autodidakt als Schauspieler anderen Regisseuren über die Schulter.
Bouli (eigentlich Philippe) Lanners ist das Gegenteil eines Charakterdarstellers. Im Grunde verkörpert er, sei es unter ferner liefen in französischen Großproduktionen wie der Asterix-Serie und Jean-Pierre Jeunets Kriegsdrama »Mathilde – Eine grosse Liebe« oder in prominenteren Rollen in heimischen Komödien, immer nur sich selbst: ein unverwechselbares Rumpelstilzchen, einen belgischen John Goodman. Struppig in Attitüde und Aussehen – im belgischen Kino ist man bereits ziemlich weit weg vom romanischen »fare bella figura« – spielt er, meist als Underdog besetzt, in seiner eigenen Liga.
Sein Charisma eines abgründigen Hobbits entfaltet sich am besten in den Filmen seiner ähnlich tickenden Kollegen. Dabei kommt ihm zugute, dass das belgische Filmemacherbiotop quasi inzestuös verquickt ist mit dem französischen »Groland Magzine«, einer seit 1992 ausgestrahlten satirischen Nachrichtensendung, die von den Zuständen in Groland, einer schwarzhumorigen Parodie auf europäische Nationalstaaten, handelt. Zu den Groländern gehört auch Landsmann Benoît Poelvoorde, an dessen Seite Lanners etwa in der belgisch-französischen Grenzkomödie »Nichts zu verzollen« auftrat, und das Regieduo Gustave Kervern und Benoît Delépine, das aus der nordfranzösischen Sch'ti-Region stammt.
In ihren grotesken Schelmengeschichten wie »Aaltra«, »Louise Hires a Contract Killer«, »Der Tag wird kommen« und »Mammuth« mit Gérard Depardieu ist Lanners Stammgast. Wenn er in »Aaltra« als finnischer Sänger mit Walrossschnurrbart den Soulsong »Sunny« singt oder in »Louise Hires a Contract Killer« (mit Yolande Moreau) als Camping-Wachmann in einer selbstvergessenen One-Man (beziehungsweise Woman)-Show auf der grünen Wiese einen US-Gangster imitiert, verleiht er naiven Fluchten aus der Alltagstristesse eine herzzerreißende Größe.
Die Belgierin Moreau besetzte ihn in ihrem Regiedebüt »Wenn die Flut kommt«, und Albert Dupontel, sein Kollege in »Der Tag wird kommen« (mit Poelvoorde und Moreau), in seiner eigenen Komödie Neuf mois ferme. Lanners wiederum gab Dupontel eine Hauptrolle in seinem neuen Film »Les premiers, les derniers«, der auf der Berlinale 2016 den Preis der Ökumenischen Jury verliehen bekam. Im neuen Film »Alle Katzen sind grau« (Savina Dellicour) tritt Bouli Lanners als einsamer Privatdetektiv auf. Trotz säuberlich gestutztem Haar ist er auch in dieser liebenswürdigen Coming-of-Age-Geschichte ein randständiger Typ. Die Apotheose der kauzigen Lannershaftigkeit ist aber das Roadmovie »Ich bin tot, macht was draus!« (Guillaume und Stéphane Malandrin), in dem er sich als abgewrackter Rock 'n' Roll-Bandleader mit der Asche seines verstorbenen Kumpels nach Kanada verirrt.
Als Regisseur bleibt sich Lanners in seinen bisher vier Spielfilmen so treu wie seit 30 Jahren seinem Bart, in dem man unwillkürlich Bierschaumreste vermutet. Der local hero hält nicht nur Lüttich die Treue, wo er, Gipfel der Coolness, seit 20 Jahren ein Hausboot bewohnt. Das große Thema dieses Sohnes eines Zollbeamten, der als Frankofoner in einer deutschsprachigen Region in einer »Minderheit einer Minderheit« aufwuchs, ist seine enge Heimat Wallonien. Stets im Cinemascope-Format gefilmt, verleiht er ihr die Weite einer Westernlandschaft, die, geprägt von surrealer Komik und träumerischer Melancholie, etwas Überzeitliches hat. Oberflächlich erinnern seine Filme, in denen oft eine Handvoll verlorener Cowboys unter bewölktem Himmel durch plattes Land dümpeln, an Sozialdramen im Stil der Brüder Dardenne, die ebenfalls aus Lüttich stammen.
In Lanners erstem Langfilm »Ultranova« (2005) etwa versucht ein junger Makler, schlüsselfertige Häuser von bestürzender Hässlichkeit zu verkaufen und hat unterwegs seltsame Begegnungen. Doch es gehe ihm, sagt Landschaftsmaler Lanners, nicht um Sozialkritik, sondern um »die Entwicklung des Menschen in einer Landschaft«.
Das Szenario von »Les Géants« (2011) ist so auch eine Hommage an »Huckleberry Finn« mit dem Ardennenflüsschen Ourthe als gefühltem Mississippi: »Ich stamme aus einem Kleine-Leute-Milieu und bin von den amerikanischen Filmen meiner Kindheit geprägt, lese amerikanische Literatur, höre angelsächsische Musik«. In seinem Roadmovie »Eldorado« (2008) spielt er den wurstigen Autoverkäufer, der einen Junkie unter die Fittiche nimmt. Er wollte mal einen Chevrolet fahren, sagt Lanners, und als visuellen Bezugspunkt nennt er »die Weite und das Licht von Montana«.
Seinen neuen Film »Les premiers, les derniers«, in dem er einen Kopfgeldjäger mimt, drehte er erstmals außerhalb Belgiens, in einer öden Gegend bei Paris, die zum metaphysisch geprägten Western-Wallonien ehrenhalber wird – »ein Film, der von verlorenen Menschen handelt, gedreht von einem, der an Gott glaubt und dies ausdrücken will«. So hat dieser heimatverbundene und sich nach der Ferne sehnende Individualist für sich allein ein »cinéma walliwoodien« kreiert.
»Alle Katzen sind grau« startet am 31. März.
»Ich bin tot, macht was draus!« startet am 28. April
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