Interview mit Todd Haynes über seinen Film »Carol«

Todd Haynes und Cate Blanchett

Todd Haynes und Cate Blanchett

Eine gedämpfte Farbpalette

Können Sie Sich noch daran erinnern, wann Sie »The Price of Salt«, die literarische Vorlage, die Patricia Highsmith zuerst unter Pseudonym veröffentlichte, zum ersten Mal gelesen haben?

Oh, ja, denn ich kannte das Buch gar nicht, als mir dieser Film angeboten wurde. Drehbuch und Roman kamen zusammen bei mir an. Als jemand, der es gewohnt ist, seine Bücher selber zu entwickeln, ging es hier ziemlich schnell. Im Mai 2013 bekam ich das Material, las Buch und Drehbuch. Cate Blanchett stand damals schon fest als Hauptdarstellerin.

Der Roman war also in der schwulen Community nicht unbedingt bekannt?

Ich selber war nie ein großer Leser ihrer Romane, ich habe eine vage Erinnerung an »Ripley« und habe dann erst viel gelesen, nachdem ich diesen Film vorbereitete, auch Biografisches, wo die ganze Entstehungsgeschichte nachgezeichnet war und wie der Stoff mit Highsmiths Leben im New York der damaligen Zeit zusammenhängt. Den Roman empfand ich als eine so zutreffende Beschreibung, wie jemand sich verliebt, ohne jegliche Sentimentalität – das konnte man von Highsmith erwarten. Was ich nicht erwartet hatte, war die Verbindungslinie, die sie zieht zwischen der Energie des Kriminellen und der des Verliebten.

Mit einem bereits existierenden Drehbuch konfrontiert, gab es da Punkte, die Sie mit der Drehbuchautorin diskutieren mussten – Sachverhalte, wo Sie eine abweichende Auffassung hatten?

Es gab einen Prozess der Zusammenarbeit beim Drehbuch. Phyllis Nagy war diesem Projekt schon sehr lange verbunden, sie kannte Highsmith. Ich konnte erkennen, dass das Drehbuch ein Stück weit entschärft wurde, um eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Im Buch gibt es eine enorme Spannung zwischen Carol und Therese, Ängste (das Buch ist ja ganz aus der Perspektive von Therese erzählt), einige quälende Bemerkungen von Carol gegenüber Therese, die ziemlich unangenehm, zumindest aber tief verwirrend sind. Das fand ich schwer zu lesen, es war aber genau das, was ich an dem Roman liebte. Einiges davon fügte ich wieder ein. Und dann diese große Unterredung mit Richard, die Therese hat, wo sie ihn fragt, »Hast Du Dich je in einen Jungen verliebt?« – die war auch nicht in der Drehbuchfassung, die ich zu Beginn bekam. Für mich war das aber eine großartige Weise, über ihre Gefühle zu sprechen. Die größte Änderung betraf aber nicht das Buch, sondern wurde inspiriert von David Leans Film »Brief Encounter«, nämlich die (Kreis-)Struktur der Erzählung. Die Tatsache, dass das Buch ganz aus Thereses Perspektive geschrieben ist, brachte mich dazu, darüber nachzudenken, wodurch Liebesgeschichten in Erinnerung bleiben. Als ich es las, musste ich sofort an »Brief Encounter« denken: es sind immer Geschichten aus der Perspektive der Person, die in Gefahr ist, verletzt zu werden. In »Carol«, dem Film, verändert sich das von der einen Frau zur anderen. Wenn wir gegen Ende zu dieser Szene zurückkommen, hat sich das durch die Struktur von der einen Frau auf die andere verlagert.

War es eine große Diskussion, was in den Sexszenen zu sehen sein würde?

Was die beiden in den Szenen tun würden, stand im Drehbuch, das war der Ausgangspunkt. Und es war klar, dass diese Szenen hier eine notwendige Erzählkomponente sein würden. Von daher ist es dann nicht viel anders als in allen anderen Szenen: so gut vorbereitet wie möglich zu sein. Wie sieht die Strategie aus, welche technischen Sachen sind notwendig? Die Tatsache, dass Therese von Carol enthüllt wurde, war sowohl im Roman als auch im Drehbuch klar.

Haben Sie Sich Gedanken darüber gemacht, inwieweit der Film sich stilistisch dem Kino seiner Handlungszeit annähern sollte? Bevor es zu der Sexszene kommt, sollten die Zuschauer sagen: das sieht aus wie en Film von damals?

Ich habe keine Filme aus jener Zeit gefunden, die den Look dieses Films beeinflusst haben, weder, was die Sprache der Figuren anbelangt, noch den Schauspielstil. Er hat einen gewissen klassischen Stil, aber er ist zugleich zurückhaltend – in den fünfziger Jahren hätte man mehr hin- und hergeschnitten zwischen den Figuren, es hätte mehr Kamerabewegungen gegeben. Wonach wir Ausschau hielten, war der Fotojournalismus jener Zeit, deshalb all die Blicke durch Fenster und Glas. So etwas habe ich in den Hollywoodfilmen jener Zeit nicht gesehen, das war vielmehr ein Spezifikum der Bildsprache von Fotos, zumindest bei den Leuten, die ich entdeckt habe, wie Saul Leiter. Auch die Farbpalette von Fotografinnen wie Ruth Orkin oder Helen Levitt war so anders als die Farbpalette von Douglas Sirks Filmen: Sie hatte einen schmutzigen Look, eine gedämpfte Farbpalette. Es gab aber auch Momente an kräftigen Farben darin, was wir vor allem bei den Kostümen anwendeten. Sie waren eher zurückhaltend, aber mit Akzenten wie einem lachsfarbenen Halstuch oder der Brosche. Die frühen Fünfziger waren eher eine trübe Periode, ganz und gar nicht wie die Eisenhower-Ära mit ihren glänzenden Farbtönen, die darauf folgte. Das gefiel mir, das war etwas, was ich nicht erwartet hatte - die Angst der Nachkriegsjahre, die sich dann in der Eisenhower-Ära verstärkte.

Sie haben gar keinen Film aus jener Zeit gefunden, in dem sich dieser look widerspiegelte?!

Nicht aus dem Hollywood-System! Ein Film aus der Zeit, den wir uns mehrfach angeschaut haben, war »Lovers and Lollipops«, ein Dokudrama, dass Morris Engel, der vor allem für »The Little Fugtive« bekannt ist, mit seiner Partnerin Ruth Orkin machte und das in Manhattan angesiedelt war.

Das aber in Schwarzweiß gedreht war…

Ja, bei Farbe war Richard Quines »Strangers When We Meet« ein sehr gut aussehender Film, der ebenfalls zurückhaltend war, in einem naturalistischen Stil. »Lovers and Lollipops« war wichtig für den Look New Yorks und seiner Straßen. Die weibliche Protagonistin bewegte sich auf eine Art und Weise, die sich unterschied von dem Schauspielstil Hollywoods, eine Art von Weiblichkeit, die in Vergessenheit geraten ist - Sachen, die Therese von Ihr lernt als Frau, das war sehr spezifisch für diese Zeit und nicht im Hollywoodjargon.

Wie haben Sie entsprechend mit den Schauspielerinnen gearbeitet?

»Lovers and Lollipops« habe ich ihnen gezeigt, auch Fotografien. Es geht aber auch um den Dialog bzw. den Mangel an Dialog, was auch untypisch für Hollywood ist. Wie viel Stille gibt es in diesem Film und wie viel wird ausgedrückt ohne Worte? Unser Prozess war einer der Eliminierung. Es gibt eine Szene, in der Cate Blanchett Rooney Mara die Hand auf die Schulter legt, als diese Klavier spielt. Im Roman gibt sie ihr dabei noch einen kurzen Kuss auf den Kopf.

Heißt das auch, dass Sie mit Ed Lachman, Ihrem Kameramann, anders gearbeitete haben als bei »Far from Heaven«? Damals hatten Sie ja u.a. Filme von Douglas Sirk studiert.

Ja, all die visuellen Referenzen haben wir ausführlich im Vorfeld diskutiert, Bei jeder Außenaufnahme muss man auch Finanzielles berücksichtigen. Wir haben da also nur Veränderungen vorgenommen, soweit das auch im Bild zu sehen war. Außerdem haben wir auf Super-16 gedreht, was den Look nicht unwesentlich prägte.

Inwiefern kann man den Film auf einer inhaltlichen Ebene als Begleitstück zu »Far from Heaven« sehen? Eine Liebe, die Grenzen überschreitet.

Für mich sind das zwei verschiedene Stücke, einfach weil die ganze Frage des Blickwinkels nicht zum Modell Sirks und des Melodrams passt. Dort ist es ein Blick von außen, mit einer nahezu klinischen Betrachtung des Lebens und wie schwer es den Menschen gemacht wird. Hier dagegen ist man wirklich innen drin in den Figuren. Aber in »Far from Heaven« bekommt der Ehemann am Ende den Jungen und hier bekommt am Ende die Frau das Mädchen – vielleicht gibt es doch mehr Gemeinsamkeiten.

Wie sehr hat die Inszenierung der Miniserie »Mildred Pierce« für HBO Auswirkungen auf Ihre Kinoarbeit?

Anders war vor allem die Geschwindigkeit – fünf Seiten am Tag zu drehen, erfordert schon eine enorme Geschwindigkeit. Ein großer Unterschied war auch die Arbeit mit einem Studio, was bei HBO praktisch ist. Ich hatte noch nie zuvor mit einem Studio gearbeitet. Nachdem wir einmal das Budget festgezurrt hatten und der Film Grünes Licht bekommen hatte, hatte ich das Gefühl eines soliden Fundaments. Die HBO-Leute sind wirklich smart. Das war übrigens der erste Film auf Super-16, was dem Film eine gewisse Körnigkeit gab.

 

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