Nachruf: Gena Rowlands

Am 14. August starb Gena Rowlands 94-jährig in Indian Wells, im kalifornischen Coachella Valley. Als sie Ende der fünfziger Jahre erstmals auf der Leinwand erschien – in José Ferrers »High Cost of Living«, strahlte sie Old School Glamour aus, wie er sonst nur in den Filmen des klassischen Hollywoodfilms vorkam. Lange blonde Haare mit diesem Veronica-Lake-Schwung, lange nachdem der Look schon Nostalgiefaktor hatte, blieben ihr Markenzeichen. Ihre Frisur, die ihr hinreißend schönes Gesicht wie ein Heiligenschein umgab, war etwas, dass Gena Rowlands nie veränderte. »Sonnenbrille und Lippenstift«, war ihr selbstironischer Kommentar zu ihrer öffentlichen Persona.

In ihrer künstlerischen Arbeit aber zeigte sie Mut zur Hässlichkeit, Tränen und Verzweiflung. Ihr Mann John Cassavetes besetzte sie in zehn Filmen, die sich für die harte Wirklichkeit interessierten. Diese zehn Filme waren für beide die wichtigsten ihrer Laufbahn: Für die zeitlose Traumfrau und den Regisseur, der zukunftsweisend für das amerikanischen Independent-Kino sein sollte. 

Rowlands, 1930 in als Tochter eines Bankiers im amerikanischen Mittelwesten geboren, wollte schon als Kind Schauspielerin werden. Ihr lebenslanges Vorbild war Bette Davis, die sie »furchtlos« und »meinungsstark« fand. 1950 zog sie nach New York, besuchte dort die American Academy of Dramatic Arts und lernte John Cassavetes kennen, mit dem sie 1954 bis zu seinem Tod 1989 verheiratet war und drei Kinder hatte. 

Rowlands und Cassavetes haben sie einander entscheidend beeinflusst, und man kann von der einen nicht erzählen, ohne den anderen zu nennen. Im Film waren weder Cassavetes noch Rowlands ohne einander so gut wie im Team. Trotzdem ließ sich der Regisseur, anders als etwa Ingmar Bergman, nie vom gemeinsamen Zusammenleben inspirieren: »Das war nicht sein Stil.« Er kollaborierte eng mit seinen Schauspielern und gab ihnen enorme Freiheit. »Er hat seine Sache gemacht und ich habe gemacht, was ich für richtig hielt«, so Rowlands. Sie hat immer betont, dass seine Figuren Erfindungen ihres Mannes waren.

Wer ihren gemeinsamen Film »Eine Frau unter Einfluss« (1974) einmal gesehen hat, wird nie die Dünnhäutigkeit vergessen, mit der sie eine gehetzte Hausfrau spielt, die in den seelischen Zusammenbruch driftet. Als bewaffnete Gangsterbraut in Cassavetes' »Gloria« (1984) zeigte sie Härte und in Cassavetes' vorletztem Werk »Love Streams« (1984) eine Mischung aus Zerbrechlichkeit und Stärke. In »Opening Night« (1977) weinte, wütete und soff sie sich in der Rolle einer Schauspielerin durch eine fast gewaltsame Auseinandersetzung mit dem eigenen Altern. »Faces« (1965 gefilmt und erst 1968 veröffentlicht, weil Cassavetes drei Jahre brauchte, den Film zu schneiden) mit seiner eigenwilligen Bildsprache und seinen vielen extremen Großaufnahmen baute ihrem Gesicht - und dem ihrer Mitspieler - einen Altar.  

Es gab für die Schauspielerin, die 2015 mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnet wurde, ein langes Leben nach Cassavetes, auch wenn nicht viele Regisseure sie geschickt zu besetzen wussten. Sie trat in Woody Allens verrissenem »Another Woman« (1988) auf und glänzte witzig als Film-Besetzungschefin in Jim Jarmuschs »Night on Earth« (1988) – auf dem Rücksitz in Winona Ryders Taxi. Sie spielte in Produktionen ihrer eigenen Kinder mit, so im Ryan-Gosling-Melodram »The Notebook« (2004), einem von mehreren Filmen, die ihr Sohn Nick Cassavetes mit ihr in Szene setzte und 2007 in »Broken English«, in dem ihre Tochter Zoe Regie führte. In »The Notebook« stellte sie eine  Demenzkranke dar – eine Krankheit, die sie selbst im hohen Alter befiel.

Leben und Arbeit waren in der Familie Cassavetes immer eng verflochten. Das gemeinsame Haus in den Hollywood Hills diente nicht nur als Kulisse in fast jeden Film von John Cassavetes. Er hatte es auch oft beliehen, um seine Filme drehen zu können, »endlos oft«, wie sich seine Frau liebevoll erinnerte.  

Bei Cassavetes zelebrierte Gena Rowlands die großen Verlorenen. Und doch versah sie die Leidenschaftlichen, Kaputten und die Verletzlichen, die Untergeherinnen und Kämpferinnen mit Eleganz, Haltung und einer Strahlkraft, die über den jeweiligen Film hinausreichte. Sie spielte ihre Rollen mit Präzision, doch zugleich blieb sie immer sie selbst, charismatisch und geheimnisvoll: Ein Star. 

Damit bürstete sie in Wahrheit die Haltung des Regisseurs gegen den Strich. Denn Cassavetes liebte den körnigen Zugriff auf die Wirklichkeit. Er blendete das Gemachte des Films nicht aus, verwendete mit wackliger Handkamera gedrehte Großaufnahmen, harte Schnitte und improvisierte Dialoge, die  manchmal in Alltagsgeräuschen ertranken. Ihn interessierte die Peripherie von Geschichten, das Nicht-Perfekte. Er sagte: »Ich will es nicht schön haben.« Und doch setzte er eine der größten Schönheiten des Kinos in seinen Filmen ein, seine Frau.

Der hier veröffentlichte Nachruf basiert auf einer in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichten Fassung.

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