Nachruf: Alain Delon

Meister des Ungesagten
Alain Delon in »Monsieur Klein« (1976)

Alain Delon in »Monsieur Klein« (1976)

8. 11. 1935 – 18. 8. 2024

Als Jean-Pierre Melville ihm 1966 sein neues Drehbuch vorstellte, unterbrach Alain Delon ihn brüsk: »Sie lesen mir nun schon siebeneinhalb Minuten vor und es ist noch kein einziger Dialogsatz gefallen. Das genügt mir. Ich mache den Film. Wie heißt er?«. Als Melville den Originaltitel »Le Samourai« nannte, führte Delon ihn in sein Schlafzimmer, wo ein Samuraischwert hing. Es folgte einer höheren Bestimmung, dass Delon mit »Der eiskalte Engel« unsterblich wurde.

Dieser souveräne Instinktschauspieler musste zwar Dialoge nicht fürchten, aber er verstand das Schweigen: nicht als Abwesenheit, sondern als eine komplexe Präsenz. Das Ungesagte eröffnete Welten in seinen Filmen. Auch damit bildete er einen Widerpart zu seinem ewigen Rivalen, dem extrovertierten Jean-Paul Belmondo. Mit Melville perfektionierte Delon die Kurzschrift des Kinos, in der sich knappe Gesten und Blicke in Rituale verwandeln. Er besaß eine unvergleichliche Intuition dafür, wie man eine Szene, einen Raum in Besitz nimmt. Der Rhythmus seiner Gebärden war hochfahrend und sprunghaft. Seinem geistesgegenwärtigen, entschlossenen Körperspiel eignete ein Flair von Überheblichkeit und Gefahr, das er selbst in so alltägliche Gesten wie das Zuckern seines Morgenkaffees legen konnte. Früh war eine Euphorie in seinen Darstellungen zu spüren, die auch in den düsteren Registern funkelte, der Gewaltbereitschaft, Hinterlist oder Verzweiflung.

Seit er 1960 als Tom ­Ripley in »Nur die Sonne war Zeuge« seinen Durchbruch erlebte, zogen sich das Motiv des Identitätstausches und die Figur des Doppelgängers kontinuierlich durch sein Werk und wurde der Spiegel zum unverzichtbaren Requisit. In der Gestalt des Kunsthändlers, der in »Monsieur Klein« (Joseph Losey, 1976) von der deutschen Besatzung profitiert und seine Identität an einen namensgleichen Juden verliert, kulminierte diese Tendenz tragisch. Delon schien verdammt, stets dem eigenen Geheimnis, der eigenen Unnahbarkeit zu begegnen.

Diese kinowirksame Selbstbezogenheit kollidierte eigentlich mit den Regeln des französischen Starsystems, das seit je auf der Kombination beruht. Aber dieser Solitär konnte ein großartiger Zusammenspieler sein. Er wirkte entspannt an der Seite von Partnern, die wie er das Metier nicht auf dem Konservatorium, sondern im Leben gelernt hatten: Jean Gabin, Burt Lancaster und Lino Ventura. Im Gegenzug konnte er sich mit Jean-Louis Trintignant, Maurice Ronet und eben Belmondo auf Augenhöhe messen. Partnerinnen, zumal seinen Lebensgefährtinnen Romy Schneider und Mireille Darc, näherte er sich  stets offensiv – mal aggressiv, mal zugeneigt. Die Liebesgeschichte mit Simone Signoret in »Der Sträfling und die Witwe« offenbarte eine lyrische, warmherzige Seite.

Sein öffentliches Image hielt Delon in der Ambivalenz: als gewiefter Geschäftsmann mit zweifelhaften Verbindungen in Politik und Unterwelt; als selbstgewisser Verführer, der später zu großer Loyalität fähig war; als Reaktionär, der Filme linker Regisseure (Alain Cavalier, Losey) produzierte. Seine letzten Jahre brachte er als ein Lear ohne  shakespearesche Größe zu. Am Tod seiner Meister René Clément, Melville und Luchino Visconti trug er schwer. Nun fehlte dem Star ein kreatives Korrektiv; als sein eigener Produzent (und zuweilen Regisseur) spielte er nach eigenen Regeln.

Auf der Leinwand wie im Leben kalkulierte er damit, für die Welt eine Maske tragen zu müssen. Aber in seinem stahlharten Blick leuchteten, wie der Drehbuchautor Pascal Jardin schrieb, die Tränen der jungen Jahre auf, die er als Scheidungskind verlebte. Die Zartheit des jungen Boxers in »Rocco« und seine Brüder ließ er schon in »Der Leopard« hinter sich, aber Delons Verletzbarkeit, die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, blitzten in seinen großen Rollen weiterhin auf. Nach seiner Studie einer in die Krise geratenen Männlichkeit in »Notre Histoire« von Bertrand Blier, für die er einen César erhielt, ließ er sich nie mehr auf ungeschützte Rollen ein. Von der eigenen Virilität mochte er nicht erlöst werden; eine wahrhaft tragische Kinofigur.  

Einen Nachruf auf Gena Rowlands finden Sie auf unserer Website: www.epdfilm.de 

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