Filmförderung: Noch viel zu tun
»Hagen« (2024). © Constantin Film / Stanislav Honzík
Die deutsche Filmförderung soll neu aufgestellt werden. Zieldatum ist der 1. Januar 2025. Aber bei diesem Projekt ist vieles unklar. Vor allem: Was leistet die Reform für den Film als Kulturgut?
Während der Berlinale lud Claudia Roth, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, zu einem Parlamentarischen Frühstück zu den Grünen ein. »Bewegte Zeiten: Die Zukunft des deutschen Films« hieß die Veranstaltung, und Roth stellte die Neuordnung des deutschen Filmförderungssystems vor. Deren Grundzüge hatte sie schon bei der letzten Berlinale skizziert; so viel bewegt hat sich im vergangenen Jahr dann doch nicht, wie die Branche wiederholt beklagte. Aber die Novellierung des Filmförderungsgesetzes steht zum 1.1.2025 an, ein Termin, der coronabedingt verschoben worden war, und der Referentenentwurf für das Gesetz liegt nun vor. Durchaus einnehmend und vielwortig sprach die Staatsministerin von dem »großen Wurf«, der ihrem Haus gelungen sei – eine Förderstruktur »wie aus einem Guss«. Und sie appellierte: »Wir können es uns nicht leisten, auf die Kultur zu verzichten«, der Film spiele eine entscheidende Rolle im »Sound der Demokratie«.
Dass das Filmfördersystem der Bundesrepublik weder schnell noch effektiv ist, darüber wird in der Branche schon seit Jahrzehnten geklagt. Aber dass es mittlerweile auch nicht mehr in der Lage ist, den Filmstandort Deutschland wenigstens im europäischen Umfeld zu sichern, ist eine traurige Erkenntnis der letzten Jahre: Das legendäre Studio Babelsberg steht mehr oder weniger leer, und große Produktionen wandern in andere Länder ab. Viel diskutiert wurde, dass der mit einer Lola in Gold ausgezeichnete Netflix-Film »Im Westen nichts Neues« ohne deutsche Filmförderung in Tschechien gedreht wurde (wo zum Teil auch die allerdings mit jeder Menge Förderung ausgestattete Nibelungen-Neuadaption »Hagen« entstand).
Insgesamt stehen in Deutschland knapp 600 Millionen Euro an Filmförderung zur Verfügung, davon kommen 322 aus Fördermaßnahmen des Bundes, 194 Millionen von den Ländern und 70 Millionen aus dem Topf der Berliner Filmförderungsanstalt, die ihre Mittel durch die sogenannte Kinoabgabe (pro verkauftem Ticket geht ein kleiner Teil an die FFA) und durch die Verpflichtung von Fernsehsendern und Streaminganbietern erhält. Das hört sich stattlich an, aber zum Vergleich: 67 Milliarden gibt der Bund insgesamt für Finanzhilfen und Sondervergünstigungen aus. Und unser Nachbarland Frankreich verfügt über ungefähr das Doppelte an Fördermitteln; ein Big-Budget-Projekt wie die Neuauflage »Le Comte de Monte-Cristo« mit seinen 42 Millionen Euro Etat hätte in Deutschland nicht entstehen können.
Drei Säulen hat in den Worten von Claudia Roth die Reform: ein neues Steueranreizmodell, eine Investitionsverpflichtung und eine Stärkung und Automatisierung der FFA. Über diese drei Säulen besteht eine grundsätzliche Einigung in der Branche, aber der Teufel steckt, wie so oft, im Detail. Das Steueranreizmodell soll die bisherigen Fördertöpfe aus dem Haus BKM, Deutscher Filmförderfonds (DFFF 1 und 2) und German Motion Picture Fund ersetzen. Sie ermöglichten bisher schon eine automatische Förderung für Produktionsfirmen, die in Deutschland drehen wollten. Allerdings waren die beiden Töpfe gedeckelt, bei 190 Millionen Euro, und wenn sie leer waren, gab es auch keine Förderung; hinzu kam, dass je nach Haushaltslage die Höhe heruntergesetzt werden konnte, um 33 Millionen aktuell. Auch ein Film wie Andreas Dresens Berlinale-Beitrag »In Liebe, Eure Hilde« entstand mit den Mitteln des DFFF. Mit dem Steueranreizmodell können Produktionsfirmen bis zu 30 Prozent ihrer anerkannten Herstellungskosten zurückerhalten, finanziert aus dem Aufkommen der Körperschafts- und Einkommensteuer. Solche Modelle arbeiten schon in anderen europäischen Länder, etwa in Spanien, Ungarn – und Tschechien. Und wer neoliberal glaubt, die US-amerikanische Filmindustrie käme ohne Finanzspritzen aus, dem sei gesagt, dass solche Steueranreize in vielen Bundesstaaten schon lange existieren, zum Beispiel in Kalifornien oder Georgia. Aber: Das Geld kommt beim Anreizmodell aus dem Finanzministerium. Und sonderlich weit scheinen da die Verhandlungen bislang nicht gediehen zu sein. Selbst wenn das Modell dann funktionieren sollte: Auch die Filmbranche leidet unter einem eklatanten Fachkräftemangel, dem etwa die hessische Filmförderung mit ihrem Branchenqualifizierungsprogramm STEP abzuhelfen versucht.
Das Investitionsverpflichtungsgesetz richtet sich an Videoabrufdienste und Fernsehveranstalter, die Mediatheken betreiben. Sie sollen dazu verpflichtet werden, 20 Prozent ihres im Vorjahr auf dem deutschen Markt mit ihren Onlineangeboten generierten Umsatzes wieder in europäische audiovisuelle Produktionen zu investieren, mit Unterquoten, etwa für deutschsprachige Kinoproduktionen. Zur Stärkung der Produktionsfirmen sollen die Rechte an Produktionen, die nach dem Investitionsverpflichtungsgesetz entstehen, nach fünf Jahren wieder an die unabhängigen Produzentinnen und Produzenten zurückfallen. Solche Investitionsverpflichtungen gibt es auch in anderen europäischen Ländern, etwa in Belgien, Frankreich und Italien.
Gegen die Investitionsverpflichtung formiert sich Widerstand: Die ARD – kaum ein Film in Deutschland entsteht ohne Senderbeteiligung – betrachtet sie als einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit und Programmautonomie. Vaunet, der Verband privater Medienanbieter (zu denen etwa auch die Streamingportale gehören), sieht darin eine Abdämpfung des Steueranreizmodells.
Die Produktionsförderung der FFA soll zukünftig als eine ausschließlich automatische Referenzfilmförderung vonstattengehen. Heißt: Produktionsfirmen eines Erfolgsfilms bekommen automatisch Geld für ihr nächstes Projekt. Wir erinnern uns: Mit Referenzfilmförderung startete Ende der sechziger Jahre die bundesdeutsche Filmförderung, mit dem fragwürdigen Erfolg, dass Hersteller von Schundfilmen das Geld für den nächsten Schundfilm verwendeten; erst später wurde die sogenannte Projektfilmförderung bei der FFA eingeführt. Um den Effekt zu verhindern, gibt es schon lange so etwas wie eine Kulturklausel: Filme, die sich etwa durch Festivalteilnahmen oder Preise hervorgetan haben, können dadurch Referenzpunkte generieren. Bislang lag die Eingangsschwelle bei 50 000 Besuchern plus Preise und Festivals, diese Schwelle ist im neuen FFG auf 25 000 für programmfüllende Spielfilme und 10 000 für Dokumentar- und Kinderfilme gesenkt worden. Die Festivalliste ist allerdings dringend reformbedürftig, anrechenbar sind bisher nur wenige große Festivals und Preise. Aber bewirkt ein Film, der international auf zig kleineren Festivals gezeigt wird, nicht mehr für die deutsche Filmkultur als einer, der, sagen wir mal, nur in Karlovy Vary läuft? Und warum die Referenten des Entwurfs die Prädikate der Filmbewertungsstelle in Wiesbaden (FBW), immerhin kulturelle Gütesiegel, nicht zur Anrechnung für Referenzpunkte zulassen, ist schlicht nicht nachvollziehbar.
Die FFA soll auch die Arbeit mit den Länderfilmförderungen synchronisieren, um Filme schneller auf den Weg zu bringen. Fraglich ist, inwieweit die Länderförderungen mitspielen, versprechen sie sich doch von ihren Zuschüssen einen Regionaleffekt: dass ein Mehrfaches der investierten Mittel in ihrem jeweiligen Bundesland ausgegeben wird.
Das alles sind rein wirtschaftliche Maßnahmen zur Standortsicherung. Sie können Produktionen ins Land holen, das ist gut und richtig. Das Steueranreizmodell unterscheidet nicht zwischen einem Netflix-Film und einem Kinofilm. Aber was sollen sie zur Filmkultur und ihrer Außenwahrnehmung beitragen? Mit einem Erfolgsfilm wie »Chantal im Märchenland« wird man auch in Zukunft keinen Blumentopf in Cannes und Venedig gewinnen können, und, so ist zu hoffen, auch nicht in Berlin.
Leider erwähnt Roth in ihren Statements eher im Nebenbei die vierte Säule: die kulturelle Filmförderung. Die kulturelle Filmförderung der BKM (mit deren Mitteln etwa Matthias Glasners »Sterben« entstand) schlüpft unter das Dach der FFA, die ja schon die Projektförderung beheimatet, sie wird nach wie vor – im Unterschied zu den anderen Förderungen – mit Jurys arbeiten. Die ebenfalls jurybasierte Nachwuchsförderung soll fürderhin unter das Dach des Kuratoriums junger deutscher Film ziehen. Aber auch die Kinos und die Verleiher gehören zur Filmkultur in diesem Land – und da haben die Verbände schon höhere Fördersummen gefordert. Es gibt noch viel zu verhandeln.
Evaluation heißt in Unternehmen heute das Wort der Stunde. Man müsste in einigen Jahren einmal herausfinden, was die Maßnahmen gebracht haben, nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht. Ob vielleicht doch mal ein deutscher Film im Wettbewerb von Cannes gelaufen ist.
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