Interview: M. Night Shyamalan über »Knock at the Cabin«
M. Night Shyamalan am Set von »Knock at the Cabin« (2023). © Universal Studios
Mr. Shyamalan, wer den zugrundeliegenden Roman von Paul Tremblay, »The Cabin at the End of the World« (dt: Das Haus am Ende der Welt) kennt, dürfte von Ihrem Film überrascht sein: er beginnt wie eine 1:1-Umsetzung, ändert dann aber radikal den Kurs.
Ich bekam das Drehbuch auf meinen Schreibtisch mit der Anfrage, ob ich den Film produzieren wollte, den Roman selber kannte ich nicht. Der Ausgangspunkt war eine Familie, die eine Entscheidung treffen muss. Ich sagte, man kann daraus keinen Film machen, wenn die Familie keine Entscheidung trifft. Ende des Gesprächs. Als Zuschauer konnte ich das nicht nachvollziehen. Außerdem geht es um Integrität – der Ausgangspunkt ist so kraftvoll, die Frage muss einfach beantwortet werden, egal, wie die Antwort ausfällt. Diesen Film kann ich nicht machen. Sie versuchten, den Film zu machen, es klappte nicht, die Leute, die die Buchrechte hatten, kamen zurück zu mir und sagten: »Sie haben hundertprozentig recht – wollen Sie den Film machen?« – »Gerne«, antwortete ich, »die Ausgangsidee finde ich toll. Egal, welche Entscheidung die Familie trifft, wird es auf jeden Fall ein ziemlich düsterer Film.« Ich schrieb das Drehbuch, rief den Autor der Vorlage an und erklärte ihm, wie ich die Geschichte entwickelt hatte. »Das ist genau das, was ich vorhatte!« rief er aus, »aber dann wurde Trump zum Präsidenten gewählt und ich bekam Depressionen.« Es war also das genaue Gegenteil von Hollywood-Konventionen (was mir eine Ihrer Kolleginnen unterstellen wollte). In meinen Filmen haben die Protagonisten nicht die besten Chancen, das Ende des Films zu erleben. Für mich ist es aufregend, die Zuschauer aus ihrer Komfortzone herauszuholen. Deswegen gehen sie ja in meine Filme – weil sie nicht wissen, was passieren wird. Sie haben das Gefühl, dass das nicht des Geldes wegen geschieht, dass ein Autor hier nicht seine eigenen Standards verrät.
Wie gehen Sie mit der Erwartung um, dass die Zuschauer von Ihren Filmen große Überraschungen erwarten?
Das Tolle an der Verbindung zu den Zuschauern ist, dass sie sich ergab aus einem Film, den ich selber konzipiert hatte und nicht aus einer literarischen Vorlage oder Ähnlichem, sonst hätte das bestimmte Erwartungen geweckt. I travel in mystery, am Ende des Tages gibt es eine – hoffentlich befriedigende – Antwort darauf.
Sie haben gesagt, dies sei ein düsterer Film. Wir leben in düsteren Zeiten. Würden Sie sagen, das verstärkt das Interesse an solchen Filmen – oder aber wollen die Zuschauer in apokalyptischen Zeiten das nicht auch noch auf der Leinwand sehen?
Dazu fallen mir zwei ganz konträre Sachen ein, zum einen: das Genre ist populär, weil es eine Möglichkeit bietet, sich mit unseren Ängsten auseinanderzusetzen. Das ist wie mit Albträumen: warum haben wir die? Damit wir uns im Traum schon einmal damit auseinandersetzen können und es uns anschließend in der Realität leichter fällt. So ist das auch mit Filmen. Das andere (was komplexer ist): ich tendiere dazu, alles positiv zu sehen, Dunkelheit und Verlust wird es immer geben, deshalb sind Genrefilme so populär, weil sie sich damit auseinandersetzen. Das balanciert sich aus.
Wie wichtig war es für Sie, dass das kleine Mädchen zwei Väter hat, es also nicht die traditionelle Mutter-Vater-Kind-Familie ist?
Das mag jetzt vielleicht sehr Hollywoodmäßig klingen, aber es war für mich nicht entscheidend. Es steht nicht im Mittelpunkt der Geschichte. Ich fand diese Liebesgeschichte zwischen den beiden Männern sehr bewegend und wollte zeigen (was im Buch nicht der Fall ist), wie stark diese Liebe zwischen ihnen ist.
Am Ende müssen die Protagonisten eine sehr, sehr schwere Entscheidung treffen...
Da wollen wir den Zuschauern nicht die Spannung nehmen.
Suspense spielt in Ihren Filmen eine große Rolle. Hat sich bei dessen Inszenierung etwas geändert im Vergleich zu 1999, als Sie mit »The Sixth Sense« Ihren Durchbruch hatten?
Wenn man heute zu Premieren geht und dort am Roten Teppich interviewt wird, sind die Interviewer Influencer, 17 Jahre alt, die einem erzählen, dass sie gerade einen von meinen alten Filmen gesehen hätten – Filme, die älter sind als sie selber,. Die Lieblingsfilme meiner Kinder sind der erste »Jurassic Park« und »Der weiße Hai« – dieselben Filme, die ich auch schätze. Und sie sehen den Unterschied – ist das bloß Zuckerguss oder erweitert der Film meinen Horizont? Das ist über all die Zeit gleich geblieben. Ich glaube, das einzige, was sich verändert hat, ist die Tatsache, dass die Zeit, die man im ersten Akt damit verbringt, die Voraussetzungen des Dramas einzuführen, geschrumpft ist. Die Geduld der Zuschauer hat sich verringert. Darauf habe ich bei diesem Film reagiert: gleich zu Beginn kommt ein Riese auf ein kleines Mädchen zu. Auf die Fähigkeit junger Menschen, Zusammenhänge zu begreifen, habe ich immer gesetzt.
Können Sie etwas darüber erzählen, wie Sie Filme besetzen? Als Sie hier in München für »The Visit« waren, erzählten Sie von dem kleinen Budget des Films und dass sie für das alte Ehepaar auf erfahrene Theaterschauspieler zurückgriffen. Bei »Glass« dagegen war klar, dass Sie wieder mit den beiden Stars des Originals, Bruce Willis und Samuel L. Jackson, arbeiten würden. Aber wie war das bei »Old« und bei diesem Film? Haben Sie ein Budget und nehmen die Besetzung dementsprechend vor? Oder aber denken Sie darüber nach, wenn Sie das Drehbuch fertiggestellt haben?
Ich mache heutzutage Filme auf eine bestimmte Art: es sind alles relativ kleine Filme. Wenn sich jemand daran beteiligen will, in der Hoffnung, dass der Film einen Gewinn abwirft, dann ist das sein Risiko. Ich kann eine gewisse künstlerische Qualität garantieren, aber nicht, dass der Film ein Kassenschlager wird. Das Schöne am Low-Budget-Filmemachen ist, dass alle wissen, ich bekomme kein Geld, bevor der Film Gewinn abwirft, ich habe keinen eigenen Trailer, in den ich mich zurückziehe. Wem das gefällt, der ist eingeladen mitzumachen. Ich habe zwei Gruppen von Interessenten: jene, die bereit sind, solch ein Experiment zu wagen – das war hier vor allem Dave Bautista, der noch nie eine solche Rolle gespielt hat und deshalb begierig darauf war. Das andere sind Newcomer, auf beiden Seiten der Kamera, etwa Herdís Stefánsdóttir, die isländische Komponistin, die noch nie für einen Film geschrieben hatte, nur für eine kleine Fernsehserie, die ich gesehen hatte. Ich würde sagen, die Art und Weise, wie ich Filme mache, zieht die richtigen Leute an.
Trotzdem Sie Serien für Pay-TV und Streamingdienste produziert haben, sind Sie immer noch ein Verfechter des Kinos als Ort, wo Filme gesehen werden sollten?
Ich meine, der Kinosaal ist die beste Möglichkeit einen Film zu sehen, wo Du nicht währenddessen Multitasking machst, wo Du dafür Deine eigenen vier Wände verlassen musst. Sport und Filme wollen wir zusammen sehen. Indem die Filmindustrie keine vernünftigen Kinofenster gewährte, hat sie in den letzten drei Jahren Selbstmord begangen und dabei laut »Mord!« gerufen. Dabei gewinnt jeder, wenn man Filmen einen adäquaten Kinoeinsatz garantiert.
Wie kam es, dass Sie bei diesem Film zwei Kameraleute hatten?
Viel hatte mit dem Zeitplan zu tun. Sowohl Jarin Blaschke (der alle Filme von Robert Eggers fotografiert hat) als auch Lowell A. Meyer hatten an meiner Serie »Servant« mitgearbeitet. Jarin Blaschke hat vor allem die Innenaufnahmen gemacht – ohne zusätzlich Beleuchtung. Wir haben auf Film gedreht, mit alten Objektiven, das war eine tolle Erfahrung.
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