Venedig: »First Man«
»Aufbruch zum Mond« (2018). © Universal Pictures
Damien Chazelle präsentiert mit seinem Star Ryan Gosling zusammen den Film »Aufbruch zum Mond« auf dem Festival von Venedig
Es ist kaum glauben, wie winzig die Raumkapseln waren, in denen die ersten Männer zum Mond flogen. Als er das erste Mal eine gesehen habe, habe er gedacht, nur einen Teil des echten Flugkörpers vor sich zu haben, erzählte Regisseur Damien Chazelle anlässlich der Premiere von »First Man« (Aufbruch zum Mond), mit dem das 75. Filmfestival in Venedig eröffnet wurde. Statt wie seine Vorläuferfilme über die bemannte Raumfahrt den »Stoff, aus dem die Helden sind« zu feiern, fängt Chazelles Film deshalb vor allem die Ungeheuerlichkeit des Unterfangens ein, in kaum mehr als Blechkisten zum Mond aufzubrechen. Mit raffinierter Klanggestaltung und einer kalkuliert eingesetzter subjektiven Kamera macht Chazelle die Überforderung und Ausgeliefertheit der ersten Astronauten für den Kinozuschauer unmittelbar erlebbar, und es ist diese sinnliche Seite, die den Zuschauer fesselt, obwohl die Geschichte und ihr Ausgang längst bekannt sind. Wie es mit den Chancen auf einen Goldenen Löwen steht, ist noch nicht abzusehen, als Oscar-Kandidat aber wird »First Man« schon gehandelt.
Chazelle, der zuerst mit »Whiplash« und dann mit »La La Land« Erfolge feierte, konzentriert sich in seinem neuen Film ganz auf die Figur Neil Armstrong, des ersten Menschen, der den Mond betrat - und der nach heutigen Maßstäben publicity-mäßig daraus nichts gemacht hat. Im Gegenteil, der 2012 verstorbene Armstrong war zeitlebens für seine Bescheidenheit und Zurückhaltung bekannt. »Aufbruch zum Mond« folgt seiner Biografie vom Test-Piloten-Job Anfang der 60er Jahre in Kalifornien über die Bewerbung bei der NASA bis zur erfolgreichen Mondlandung mit der Apollo 11. Wobei die Schlüsselereignisse, die familiären und beruflichen Katastrophen und Verluste dieser Karriere gleichsam wie aus der subjektiven Perspektive Armstrongs dargestellt werden. Ryan Gosling verkörpert ihn in einem wunderbar präzis austarierten Auftritt als introvertierten, stoischen Mann, der oft nicht aus seiner Haut kann. Sein Armstrong ist kein Draufgängermacho, sondern ein entschiedener Eigenbrötler, der in seinem verschlossenen Strebertum langweilig wirken würde, wenn man nicht doch noch Goslings gezielt untertriebenes Charisma spüren würde.
Im Nacherzählen des Privatlebens bleibt der Film vielleicht eine Spur zu konventionell. Auch lässt er den mit Kyle Chandler und Jason Clarke prominent besetzten Nebenfiguren kaum Raum zur Entfaltung und vor allem Claire Foy als Ehefrau Armstrong viel zu wenig Gelegenheit, ihrer Figur der besorgten Ehefrau Dreidimensionalität zu verleihen. Einzig Corey Stoll als vorlauter Edwin »Buzz« Aldrin, der oft die falschen Worte an richtiger Stelle anbringt, kann gegenüber Gosling bestehen. Was »Aufbruch zum Mond« dennoch zu einem absoluten Kinoerlebnis macht, ist die Tatsache, dass es Chazelle gelingt, das Staunen der ersten Weltraumforschung zurückzuholen. Etwa wenn er nachinszeniert, wie bei einem Probeflug die Raumkapsel mit den Astronauten zuerst wie vom Dunkel des Weltalls geschluckt wird, dann aber der halbrunde Streifen Licht am Erdhorizont wieder Orientierung gibt. Oder wenn beim Landeanflug auf den Mond das Befremden, die Unsicherheit über das Terrain, wie es den heransteuernden Piloten erscheint, zum Ausdruck kommt.
Natürlich kommt kein Film über die Mondlandung ohne Pathos aus. Aber Chazelles Kunstgriff besteht darin, dass er vordergründig die großen Gefühle untergräbt, indem er die Dialoge in manchmal fast unverständlicher Fachsprache belässt und oft ohne Überleitung, im harten Schnitt von einem Handlungspunkt zum nächsten springt. Die rührendste Szene ist zugleich eine der ungemütlichsten: In der Nacht vor dem Aufbruch zur Apollo-11-Mission zwingt die Ehefrau Armstrong zur Aussprache mit den zwei kleinen Söhnen. Er müsse ihnen sagen, dass er vielleicht nicht zurückkommt. Aber auch gegenüber den Kindern findet er nicht aus seinem Stoizismus – woraufhin ihm der damals 11-jährige Sohn die Hand gibt, statt ihn zu umarmen.
Es ist diese Hinwendung zum Individuellen, die den Film so kraftvoll und zugleich universell erschienen lässt. Ob er Armstrong als typischen amerikanischen Helden sehe, wurde Ryan Gosling gefragt. Es läge vielleicht an ihm – Gosling ist Kanadier – aber er habe die Mondlandung stets als menschliche, und nicht als spezifisch amerikanische Errungenschaft angesehen, antwortete der Hollywoodstar. Die Mondlandung habe – wie das Kino, das er und Regisseur Chazelle machen wolle – Menschen auf der ganzen Welt für eine gewisse Zeit näher zusammengebracht.
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