Kritik zu Wettermacher

© W-film

2021
Original-Titel: 
Wettermacher
Filmstart in Deutschland: 
18.08.2022
M: 
V: 
L: 
92 Min
FSK: 
12

Um entlegene Orte und ihre Bewohner geht es in den Filmen von Stanislaw Mucha immer wieder. In seinem neuen Werk porträtiert er vier Menschen auf einer Wetterstation am sibirischen Polarmeer

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Am Ende der Welt steht ein windschiefer, hölzerner Leuchtturm, drumherum ein paar wie zufällig dorthin gefallene Häuser und Bretterbuden. Leere Fässer und Sperrmüll liegen herum – was sich eben so ansammelt an einem Ort, zu dem nur einmal im Jahr ein Versorgungsschiff kommt. Die See ist unruhig, das Land flach und unendlich, oft tief verschneit. Ein türkisfarbenes kleines Haus in der Ansiedlung beherbergt die Wetterstation »Chodowaricha«. Drei Meteorologen leben hier auf engem Raum und erheben mit einfachsten Geräten ihre Daten: Alexander, seine Frau Sascha und der Leiter der Station, Wladimir. Weiterer Protagonist des Films: ihr Nachbar Wassili. 

Die Kamera zeigt die Menschen als Teil der Landschaft, ihr Tun wirkt so einfach und repetitiv wie der Wechsel der Jahreszeiten. In Bildern von spröder, doch eindringlicher Schönheit mit wenig, dafür umso intensiverer Farbe (Kamera: Marcus Winterbauer) lässt uns Stanislaw Mucha am Alltag im Nirgendwo teilhaben. Erst nach und nach enthüllt uns die lakonische Erzählerstimme etwas mehr von diesen Menschen, berichtet von teils dramatischen Biografien. So war Alexander einst Berufssoldat in der russischen ­Armee, kam schwer verletzt und traumatisiert aus Tschetschenien zurück und schulte dann zum Meteorologen um. Auch Sascha zog es nach einer persönlichen Katastrophe aus der Stadt in die totale Einsamkeit. Den Nachbarn Wassili, bei der Wetterstation geboren und aufgewachsen, dann aber lange fort gewesen und angeblich Funker auf einem Atom-U-Boot, brachte eine Krebsdiagnose dazu, an den Ort seiner Kindheit zurückzukehren. 

Was den Hintergrund des schweigsamen Stationsleiters Wladimir angeht, streut der Erzähler zunächst eine vielsagende Andeutung von einem mysteriösen Todesfall in seiner letzten Crew ein, der zu seiner Versetzung nach Chodowaricha geführt habe. Erst viel später wird diese finstere Geschichte weiter ausgeführt. Überhaupt erweist sich Stanislaw Mucha stets aufs Neue als gewiefter Erzähler. Wie bereits in früheren Filmen, etwa »Absolut Warhola« oder »Kolyma«, spürt er mit sehr genauem Blick die Skurrilitäten und das Abseitige seiner Sujets auf. Hier erzeugt er mit Andeutungen und retardierenden Momenten eine für Dokumentarfilme seltene Spannung und lädt die ansonsten kontemplativen Bilder damit auf. 

So mag die Einsamkeit der Wetterstation für einen Städter auf den ersten Blick idyllisch, gar romantisch erscheinen – ein Leben im Einklang mit der Natur, gelegentliche Abwechslung durch den Besuch von Nomaden, die hier wie »mobile Metzger« unterwegs sind und für eine Schlachtung und einige Wodka auf der Station vorbeischauen. Doch je länger »Wettermacher« läuft, umso mehr Abgründe mischen sich in den ruhigen Fluss der Bilder. Die Isolation fordert ihren Tribut, die Erzählungen werden düsterer: vom Hund, der genau dann spurlos verschwindet, als die Fleischvorräte zu Ende gehen; von Vorgängern auf der Station, die die Einsamkeit hier irre gemacht hat; vom Eisbären, der bei seinem »Besuch« von einem Mann nur Kopf und Stiefel übrig ließ. So spielt auch der Klimawandel, kein explizites Thema des Films, vom Rande her hinein, denn vermehrtes Treibeis sorgt dafür, dass umherstreunende, hungrige Eisbären immer häufiger zur Gefahr werden.

Irgendwann droht die Lust am Fabulieren den Film aus der Kurve zu tragen. Befinden wir uns wirklich noch auf dokumentarischem Terrain? Sind all diese Geschichten wahr oder sind es schaurige Leuchtturm­legenden von Einsamkeit und Wahnsinn? Was Mucha »existenzielles Theater – tragisch und komisch zugleich« nennt, wird dann aber plötzlich Gegenwart und ganz unmittelbar: Die anfangs so harmonisch scheinende Gemeinschaft der Meteorologen wird durch einen Zwischenfall erschüttert, der auch dem Film eine ungeahnte Wendung gibt.

So ist »Wettermacher« zwar weit weg von unseren gegenwärtigen Großkrisen, für naturseligen Eskapismus in einen der letzten Winkel heiler Welt eignet sich der Film jedoch nicht. Was Muchas Werk so überaus reizvoll macht, ist seine delikate Balance zwischen den Abgründen und der Schönheit. Er spürt die Poesie im Desolaten auf und würzt sie mit etwas russischem Schlager.

Meinung zum Thema

Kommentare

Das stimmt alles, die Landschaft, die Personen, die Handlung und die Kommentare von S. Mucha bei der Premiere vermitteln ein eindrücklich Bild von allem, sehr nachdenklich verläßt man das Kino

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt