Kritik zu Western

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Valeska Grisebach erzählt in ihrem dritten Spielfilm von einem Trupp deutscher Bauarbeiter auf Montage im bulgarischen Hinterland. Es geht um Genrekonventionen und Kommunikationsstrukturen vor dem Hintergrund kultureller Unterschiede

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Sie sei mit Western aufgewachsen, erklärt Valeska Grisebach in den Produktionsnotizen zu ihrem aktuellen Film. In den Siebzigern sei sie vor dem Fernseher gesessen und habe sich sowohl mit den Helden dieses so männlich geprägten Genres identifiziert als auch für sie geschwärmt. Obwohl sie doch ein Mädchen und damit eigentlich ausgeschlossen war. Das sei wohl der Grund dafür, dass sie sich nun endlich einmal »diesen einzelgängerischen, etwas überhöhten, oftmals melancholisch gezeichneten Männerfiguren« annähern wollte. Ihnen sozusagen auf den Zahn fühlen...

Auf den ersten Blick ist es also ganz einfach: »Western« ist ein Western. Auf den zweiten Blick nicht mehr so, weil dieser Western im Bulgarien der Gegenwart und unter Bauarbeitern und Bauern spielt. Das kann man machen. Nicht nur als eklektizistische Spielerei, die Genreelemente als beliebig kombinierbare Versatzstücke begreift, sondern als Versuchsanordnung, die etwas Wesentliches zu ergründen sucht. Die Regeln zum Beispiel, nach denen das Genre funktioniert, seine Requisiten und narrativen Muster, seine unabdingbaren Bestandteile und seine möglichen Schnörkel: einfache Dinge wie Lagerfeuer und Pferd, den Fremden in der kleinen Stadt, eine Landschaft, in der der Blick schweifen kann. Und selbstverständlich braucht es eine Waffe, Rivalen, eine Frau.

Der Trupp deutscher Bauarbeiter, der da eines Tages in der Nähe des Dorfes Petrelik inmitten einer weitgehend unerschlossenen Gegend an der bulgarisch-griechischen Grenze eintrifft, soll eigentlich ein Wasserkraftwerk bauen, doch es geht nicht recht voran, weil es ausgerechnet an Wasser fehlt und an Kies. Aber einstweilen kann man ja schon mal die deutsche Flagge hissen und den Einheimischen gegenüber den dicken Maxe markieren. Als die deutschen Männer eines Tages am Fluss herumplanschen und am gegenüberliegenden Ufer einige bulgarische Frauen baden gehen wollen, kommt es zu einer unschönen Szene, weil Vorarbeiter Vincent es mit seinem zwar scherzhaft gemeinten, doch sexistisch wirkenden Machogehabe ziemlich übertreibt. Kurz darauf, als Arbeiter Meinhard neugierig ins Dorf streift, hat sich die Geschichte natürlich bereits herumgesprochen. Ob er »derjenige, welcher« sei, wird er gefragt, und: Man habe ein Pro­blem miteinander.

So entstehen Konflikte, die äußerst schwerwiegend werden können. Vor allem da sich herausstellt, dass Dorf und Baustelle sich bei der Nutzung einer Wasserquelle abwechseln müssen und dass der bestellte Kies möglicherweise bei der ortsansässigen Mafia festhängt. Vor allem aber weil die Deutschen kein Bulgarisch sprechen und die Bulgaren kein Deutsch. So radebrecht man denn aufeinander ein, und so wird denn auch sichtbar, dass »Western« gleichfalls ein Film über Kommunikation ist und darüber, dass die Sprache keine gemeinsame sein muss, um sich einander verständlich zu machen. Es kann auch der eine deutsch und der andere bulgarisch reden, und dennoch versteht man einander am Ende irgendwie. Das liegt dann an der Intonation und an den Gesten und daran, dass man einander in die Augen schauen kann. Dort sieht man, wer lügt.

Wie Maren Ade, deren Firma Komplizen Film »Western« mitproduziert hat, ist auch die 1968 in Bremen geborene und in Berlin aufgewachsene Valeska Grisebach keine Vieldreherin. »Western« ist, nach »Mein Stern« (2001) und »Sehnsucht« (2006), erst Grisebachs dritter Film, und erneut wünscht man sich, sie würde öfter einen fertigstellen. Doch vielleicht braucht es ja gerade die langen Phasen von Ideenentwicklung, Recherche, Vorbereitung und Proben, um derart dichte Arbeiten zu schaffen. Wie »Western« eben, in dem ein Genre analysiert, ein sozialer Mikrokosmos porträtiert und die Überwindung kultureller Differenzen gezeigt wird – das alles im Gewand einer Erzählung über die latente Rivalität und das verhaltene Duell zweier Alphamänner, denen die unverbaute Landschaft die Sehnsucht nach Freiheit und Träume von einem anderen Leben wachruft. Mit wunderbaren nicht-professionellen Darstellern, deren Gesichter die Wirklichkeit in diesen Film bringen, und eine große Wahrhaftigkeit.

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