Kritik zu Weißes Rauschen

Teaser OmU © Netflix

Eine Universitätsstadt, eine Giftwolke und der stete Fluss der Verschwörungstheorien: Noah Baumbach hat Don DeLillos Achtziger-Jahre-Roman verfilmt, mit vielen sich aufdrängenden Parallelen zu unserer heutigen Gegenwart

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Ein College im mittleren Westen der USA. Wenn Professor Murray Siskind (Don Cheadle) nicht gerade über Elvis doziert, erklärt er seinen Student*innen gerne mal die Ikonographie von Autounfällen in Hollywoodfilmen. Seine Vorlesung ist mit einer Montage von Explosionen bebildert, die er enthusiastisch als in der Tradition des amerikanischen Optimismus stehend präsentiert. Sein Kollege Jack Gladney (Adam Driver), der an diesem fiktiven College-on-the-Hill als Dozent für »Hitler-Studien« lehrt, erklärt später, von Zeit zu Zeit bräuchte es eine Katastrophe, um den unerbittlichen Informationsfluss zu unterbrechen. Und bringt damit die obsessive Zerstörungswut der US-Popkultur der 1980er Jahre auf den Punkt.

Wir befinden uns in der Welt von US-Kultautor Don DeLillo, der 1985 in »Weißes Rauschen« der amerikanischen Gesellschaft den Zerrspiegel vorhielt. Die Untergangsstimmung wiederum fand der Filmemacher Noah Baumbach dreieinhalb Dekaden später so zeitgemäß, dass er die postmoderne Romansatire nun für Netflix verfilmte. 

Die beiden eingangs erwähnten Dozenten, Männer natürlich, sind sowas wie Rockstars in ihrem akademischen Mikrokosmos, ihre Seminare gleichen One-Man-Shows. Gladney lebt in vierter Ehe mit Frau Babbette (Greta Gerwig) und vier zusammengewürfelten Kindern aus diversen Beziehungen. Er und sie sind wie besessen von der Angst vor dem Tod, die sie durch Konsum zu betäuben versuchen, wenn sich die Patchworkfamilie in ihrem Alltagschaos nicht gerade in einer Kakophonie so altkluger wie sinnfreier Dialoge gegenseitig übertönt. Babbette schluckt fleißig Tabletten, aus Gründen, die erst später enthüllt werden. Die Nebenwirkungen sind für die Kinder kaum zu übersehen, vor allem Babbettes Vergesslichkeit bereitet ihnen zunehmend Sorgen.

So irreal (und oft sehr vergnüglich) die Panik erscheint, passiert dann tatsächlich der Super-GAU, ganz real und ganz in der Nähe. Ein betrunkener Trucker rast in einen Güterzug, es kommt zur Explosion, eine riesige Giftwolke hängt bald unheilvoll über dem verschlafenen Universitätsstädtchen. Die Bevölkerung wird evakuiert oder flieht freiwillig, auch die Gladneys, auf den Highways bilden sich endlose Staus. Ist es das also, das Ende der Menschheit? Zehn Tage und ein paar Tote später ist das Schlimmste scheinbar überstanden, alles geht wieder seinen pragmatisch-kapitalistischen Gang. Doch durch allen Zweckoptimismus sickert der Zweifel: Ist den Nachrichten noch zu trauen, womöglich wirkt das Gift schleichend unsichtbar weiter, ist das traute Leben gar eine Simulation? Schlüsselrollen spielen im weiteren Verlauf dieser Haken schlagenden Farce auch ein durchgeknallter Pharmazeut (Lars Eidinger) und eine atheistische Nonne (Barbara Sukowa).

Baumbachs Adaption ist ein wilder Ritt durch die Paranoia und Medienhysterie der 80er Jahre mit deutlichen Anspielungen auf unsere von Pandemie und Verschwörungstheorien geprägte Gegenwart. Er habe einen Film machen wollen, der so verrückt ist, wie ihm die Welt gerade vorkam, sagt der 53-jährige New Yorker, der auch das Drehbuch schrieb. Dabei ist er ein bisschen zu verknallt in die Vorlage und in seine Mittel als Regisseur, um daraus eine wirklich ätzende Satire zu machen. Er gefällt sich in einem seltsam nostalgischen Gestus, der mit ein paar Zeitmarkern der Ära (Pepsi-Werbung, Frühe-Achtziger-Jahre-Frisuren) vor allem apokalyptischer Eskapismus ist. Viel Lärm und nichts. Und dann doch arg aus der Zeit gefallen, in seinem Frauenbild etwa oder den Spitzen gegen universitäre Auswüchse.

Der Abspann gibt dann noch mal richtig Gas mit einer ironisch-euphorischen Tanzchoreografie durch die hell erleuchteten Gänge eines Supermarkts und mit LCD Soundsystems »New Body Rhumba« als Soundtrack. Die Szene erinnert zum Abschied daran, was »Weißes Rauschen« auch noch hätte sein können.

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