Kritik zu Walk the Line

© 20th Century Fox

James Mangolds Johnny-Cash-Biografie

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Früher lief er unter »Country« und galt als politisch dubios. Jetzt hat die Szene, auch die intellektuelle, den Sänger Johnny Cash entdeckt. Da kommt James Mangolds Biopic mit Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon gerade recht.

»Einmal schenkte er mir ein Gedicht von sich. Es hieß 'Don't make a movie out of me'. Sechs Monate später erzählte er mir begeistert, dass jemand sein Leben verfilmen wolle. 'Und was ist mit dem Gedicht?', fragte ich. Er: 'Oh, ja, das war auch gut!'« So erinnert sich Johnny Cashs Schwiegersohn, der Countrysänger Marty Stuart an jenen Mann, den Kris Kristofferson mal eine »walking contradiction« nannte. Der wandelnde Widerspruch Cash war mit Richard Nixon so gut befreundet wie mit Bob Dylan. Mit heiligem Zorn sang er »Mercy Seat«, Nick Caves Tirade gegen die Todesstrafe. Der Zorn galt dem Gouverneur von Texas, George Bush Jr., der sich weigerte, einen umstrittenen Fall wieder aufzunehmen. »Eine schreckliche Sache, dass wir unsere eigenen Leute umbringen, um das Töten zu verhindern. Nicht mal die Elefanten machen sowas.« Wenig später war Cash einer der ersten, die Präsident Bushs Krieg gegen den Irak ausdrücklich begrüßten.

In den letzten Jahren schien sich die Matrix »walking contradiction« auf Cashs Publikum zu übertragen. Die späten »American Recordings« unter der Regie des Retro-Puristen Rick Rubin erschlossen dem alten Cash neue Käuferschichten. Der hart an der Kitschgrenze wandelnde nekrophile Charme des moribunden Mannes betörte plötzlich Leute, denen Country als Musik des hässlichen Redneck-Amerika galt. Im richtigen Leben wurde neulich auf einem Berliner Friedhof eine linksfeministisch-strukturalistisch geprägte Psychoanalytikerin zu Cash-Songs beerdigt. Das Showbiz-Märchen von der Alterskatharsis bildet das unsichtbare Prequel dieses Biopics. Am Ende lieben ihn alle, und dies ist der Film zum Fakt. Der tote Cash ist reif für die Kanonisierung zum all american hero mit allen Widersprüchen.

In einem Stil, den man in der Textil- wie der Rock'n'Roll-Branche Vintage nennt, erzählt James Mangold das Leben des Arme-Leute-Sohnes Johnny. Die Mitschuld am Tod des älteren Bruders lässt den jungen Johnny zur Gitarre greifen und eine darkness in Sound & Vision akkumulieren, die im Label gewordenen Song »Man in Black« gipfelt. Mit Pillen, Suff und Frauengeschichten pflegt Cash in den Fünfzigern einen Rock'n'Roll-Lifestyle avant la lettre, der dekorative Filmbilder stiftet. Vor allem aber ist »Walk the Line« die Geschichte einer großen Liebe. Nach einem halben Jahrhundert in Liebe sind June Carter und Johnny Cash 2003 binnen fünf Monaten gestorben. Reese Witherspoons June Carter sieht zwar aus wie die junge Jane Fonda, repräsentiert aber das Zupackende einer leidgeprüften Mutter-Witwe im Männerwestern. Die realitätstüchtige geschiedene Mutter June verliebt sich in den realitätsuntüchtigen verheirateten Vater Johnny, versagt sich aber – christlich realistisch – den Vollzug der Liebe. Eine Story wie gemalt für James Mangold, der sich als Regisseur von »Cop Land« empfohlen hatte für Schuld-und-Sühne-Melodramen mit hoher Darsteller-Fallhöhe. Der Neo-Western im Polizei-Milieu drohte mitunter zu platzen ob der Präsenz von Alphamännern: Stallone, De Niro, Keitel, Liotta. Hier ist das düstere, selbstzerstörerische Testosteron gebündelt in Joaquin Phoenix, den als Cash zu besetzen selbst der richtige Cash noch eine gute Idee fand, knapp vor seinem Tod, ein halbes Jahr nach »Don't make a movie out of me«.

Phoenix habe dieses Gefährliche in den Augen. Hat er. Und die kiefernmahlende Virilität eines Henry Rollins, kombiniert mit dem Sex eines so gerade eben fürs weiße TV domptierten negro, wie ihn Jackie Wilson verkörperte. Halb läufige Hündin, halb waidwunder Wolf taumelt Phoenix durch den Film, um immer wieder von der patenten Witherspoon auf die verheißungsvolle Dramaturgie des Triebaufschubs gestoßen zu werden.

Erstaunlicherweise verwandelt Mangold das vermeintliche Handicap – was tun mit der übermächtigen Erinnerung an die Originalstimmen? – in eine Stärke. Phoenix findet seine eigene Stimme in angemessener Distanz zu Cash. Die entsagungsreiche Liebe von Johnny und June bekommt (nur) auf der Bühne eine performative Gestalt. In einer Schlüsselszene wird der Dylan-Song »It Ain't Me Babe« umgedeutet, im Original ein schmuckloser Folksong, in dem der Sänger die Bindungsansprüche seiner Partnerin von sich weist: »You say you're looking for someone to protect you and defend you, wether you are right or wrong, but it ain't me babe.« Cash verpasste dem Song seine typische Chick-A-Boom-Beschleunigung, dazu Mexiko-Trompete und Harmonika und lässt June Carter die zweite Stimme singen, im Hintergrund. »It Ain't Me Babe« – Abgesang auf eine gescheiterte Liebe. Ganz anders im Film: Mit hysterischem Enthusiasmus singen beide gleichberechtigt ihre Absage an die Tristesse der Monogamie. Nein, nein, nein, auf mir kannst du keine Brücken bauen (aber Spaß haben)! Johnny und June strahlen sich an. Das Publikum tobt vor Glück. Bis auf eine: Mittendrin sitzt Cashs Noch-Ehefrau mit den Kindern und weint um das große Baby, das ihr abhanden kommt.

Künftige Generationen sollten sich an diesen Film erinnern, wenn sie den Namen Cash hören, erklären die Produzenten. Viele Bilder sind gebaut für die Ewigkeit, auf dass das Gesicht von Johnny Cash allmählich hinter dem von Joaquin Phoenix verschwinde. Wie in »Coal Miner's Daughter«, als Sissy Spacek der Country-Legende Loretta Lynn ihr Gesicht gab. Das hat funktioniert, weil wenig bewegte Bilder von Lynn im Umlauf sind. Hier ist es anders. Bis auf weiteres wird man an den richtigen Cash denken, nicht an Phoenix. Bei Muhammad Ali denkt ja auch keiner an Will Smith.

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