Kritik zu Wadans Welt
Die Finanzkrise und ihre direkten Auswirkungen auf die Schweißerbrigade einer Werft in Wismar: eine Arbeiter- und Arbeitsdokumentation im besten Sinne
Wadan ist das russische Wort für Wotan, den mächtigsten der germanischen Götter. 2008 haben russische Investoren nach dem Besitzerwechsel die ehemalige MTW-Werft in Wismar auf den Namen neugetauft: Symbol der Besitzergreifung ebenso wie einschmeichelnde Anbiederung an die Beherrschten. Die allerdings folgten den Feierworten der neuen Herren bei der Betriebsversammlungmit eher skeptischem Blick. Schließlich ist es nicht der erste Neuanfang mit Besitzerwechsel. Seit 1951 war der als VEB Mathias-Thesen-Werft-Wismar gegründete Betrieb größter Arbeitgeber der kleinen Hafenstadt, jede dritte Familie der 45 000 Einwohner ist irgendwie mit der MTW verbändelt. Nach dem Mauerfall kam die Werft erst zur Bremer Vulkan und wurde dann an eine norwegische Firma vertickt. Auch – so weit sei vorausgegriffen – mit dem Erwerb durch Herrn Burlakow aus Moskau ist die Krisengeschichte längst nicht vorbei.
Wie viele gelungene Dokumentarfilme verdankt auch »Wadans Welt« neben Entschlossenheit und Geduld sein Gelingen zu einem Teil dem Zufall. Denn Regisseur Dieter Schumann wollte in Wismar eigentlich einen Film über das größte Passagierschiff der Welt drehen, als die Finanzkrise über den Betrieb hereinbrach. Plötzlich war alles anders. Und es lag eine viel spannendere Geschichte in der Luft.
Der Ort ist ein Kosmos für sich, von Feuer und Rauchschwaden, Wasser und sprühenden Funken durchweht. Wadans Welt: Das sind Hallen, in denen rostige Stahlplatten zu Schiffsungetümen geschweißt werden. Kräne und Trossen, die die schweren Bauelemente mit viel Getöse an ihren Platz bringen. Und es sind die Arbeiter, die all das bedienen, herumhämmern und schweißen. Es ist harte Arbeit, und es sind von altem Proletenstolz beseelte Männer aus Familien, die oft seit Generationen im Schiffsbau sind, auch wenn doch mal einer von anderswo dazukommt.
Mit ihren Schutzrüstungen erinnern die Schweißer an archaische Ritter, zu Hause herrscht latent patriarchaler Kleinbürgercharme. In »Wadans Welt« haben Frauen sowieso nichts zu sagen, selbst die Betriebsrätin macht mit ihren symbolischen Aktionen eine eher lächerliche Figur.
Schumann begleitet das Auf und Ab der Ereignisse um Krise und Insolvenzverfahren und die Kämpfe der Arbeiter nicht nur um ihre Jobs, sondern auch um letzte Reste von kollektivem Handeln. Ein Bravourstück humoristischen dokumentarischen Kinos ist eine Szene, in der ein Dutzend der eher wortkargen Kerle mit gut verteilten Rollen im Pausenraum das weitere Vorgehen gegen die drohende Entlassung debattiert. Doch der Film geht auch zu den Herren oben – in eine luftige Moskauer Büroetage etwa, wo unterbekleidete Mädchen den Delegierten aus Mecklenburg-Vorpommern in der Verhandlungspause Drinks servieren. Die beobachtende Kamera ist präzise, die Montage der langgedienten DEFA-Schnittmeisterin Gudrun Steinbrück zeigt viel Sinn für Rhythmus und Detail. Regisseur Dieter Schumann ist selbst Mecklenburger und weiß, wovon – und mit wem – er redet. Ein gestandener Dokumentarfilmer ist er auch, hat sieben Jahre für die DEFA gedreht, 1988 mit »Flüstern und Schreien« den ersten Dokumentarfilm, der die ganze Breite der Rockszene der DDR auch dem Westpublikum nahebrachte.
»Wadans Welt« bleibt, bis auf eine mythologische Rahmenerzählung, ganz nah an seinen Helden, hat aber große Anstrengungen auf ein Sounddesign gelegt, das die Raumatmosphäre der Halle und ihre Klänge aus schwerem Stahl und Rollwinden in einen dichten Soundtrack verwandelt. Solch rundum sorgfältig gemachtes Filmhandwerk, das statt künstlich aufgesetzter »Audiokonzepte« aus dem Material selbst entwickelt wird, ist heutzutage eher selten. Schumanns Drama aus der ganz real existierenden Arbeitswelt zeigt wieder einmal, dass die packendsten Geschichten doch das Leben selbst schreibt, und entgeht der Versuchung, seinen Stoff künstlich aufzuputschen. So ist der Film nicht zuletzt auch eine Hommage an eine langsam untergehende Arbeiterkultur mit Stulle und Thermoskanne vor dem Umkleideschrank. Nur die »Bild«-Zeitung neben der Kaffeetasse wird wohl leider bleiben.
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