Kritik zu Unter dir die Stadt
Christoph Hochhäusler blickt in seinem unterkühlten Frankfurt-Film dem Kapitalismus zwar nicht ins Herz, studiert aber aufmerksam die Spielregeln im Inneren der Bankentürme
Zu seinen Figuren und ihren Geschichten hält Christoph Hochhäusler gerne Distanz. Das war in »Milchwald« (2003) so und in »Falscher Bekenner« (2005); bei seiner neuen Arbeit steckt diese Haltung schon im Titel. »Unter dir die Stadt« ist ein Frankfurt-Film, gedreht im Finanzdistrikt der Stadt, dessen gläserne Bürotürme faszinierend funkeln in den Bildern des Kameramannes Bernhard Keller. Die Entfernung, die ja auch eine Fallhöhe ist, zwischen der obersten Etage der Türme und den Menschen zu ihren Füßen, definiert den Raum, in dem sich die Geschichte abspielt.
Ganz oben residiert Roland Cordes, der gerade zum »Banker des Jahres« gewählt wurde. Der Theatermann Robert Hunger-Bühler spielt ihn als Kapitalistenkönig in feinstem Anzuggrau, so distinguiert wie diabolisch, ein routinierter und gelangweilter Strippenzieher. In den Straßen der Stadt ist Svenja (Nicolette Krebitz), die Frau eines seiner Angestellten, unterwegs. Das Muster ihrer Bluse schillert augentäuschend wie eine Arbeit von Victor Vasarely, gleichzeitig erinnern die Seidenquadrate an die Fenster der Hochhaustürme. Svenja folgt einer Frau, die die gleiche ausgefallene Bluse trägt. Als diese Frau in einem Café ein Sandwich bestellt, wiederholt Svenja die Handlung, als ob sie die Identität der anderen nachschmecken würde.
Der Stilwillen des Regisseurs ist beeindruckend, gleichzeitig wirkt schon die Exposition mit der Bluse unnötig artifiziell und selbstverliebt. Man sieht, dass Hochhäusler nicht daran interessiert ist, im Film das Leben nachzuahmen, und weiß es ja auch – Hochhäusler, Mitherausgeber der Filmzeitschrift »Revolver«, hat seine Ansichten übers Kino immer wieder dargelegt. In Frankreich kommt die kühle Künstlichkeit seiner Filme gut an: Nach »Falscher Bekenner« lief auch »Unter dir die Stadt« in Cannes.
Bei einer Vernissage trifft Svenja auf Cordes. Er zieht an ihrer kurz abgelegten Zigarette. »Rauchen ist hier verboten«, sagt er, als Svenja ihre Zigarette zurückfordert. Hier treffen zwei Menschen aufeinander, die sich nicht an Verbote halten. Als sie sich später zufällig wiedersehen, beginnt ein erotisches Ringen, das den Kämpfen in den oberen Etagen der Bankentürme verwandt scheint. Cordes jedenfalls spielt beide Spiele nach denselben Regeln. Im Krieg und in der Liebe, meint er, ist alles erlaubt – und befördert nach dem Vorbild der biblischen Geschichte von David und Batseba Svenjas Mann auf einen gefährlichen Posten nach Indonesien.
Wo Hochhäusler die Hierarchien des Kapitalismus beschreibt, Ausdruckformen von Macht und Herrschaft, ist »Unter dir die Stadt« interessant. Da behandeln Manager einen Kellner wie einen Diener; treffend auch die sexuellen Metaphern in den Geschäftsgesprächen: »Wir sind scharf auf die Entwicklungsabteilung.« Und wie das ranghöchste Affenmännchen auf seinem Felsen, thront Cordes im vollverglasten Büro über der Stadt.
Svenja passt nicht ins System. Hochhäusler inszeniert sie als sexuell überaus attraktiven, autonomen Körper, der sich Cordes' Kontrolle entzieht. Es hat mich erwischt »wie eine Tropenkrankheit«, erzählt der Banker seinem Fahrer – die Tropenkrankheit als das Fremde, das in den eigenen Körper eindringt und wehrlos macht. Robert Hunger-Bühler spielt gerade diese Momente der Schwäche wunderbar aus.
Ins Herz des Kapitalismus aber lassen auch solche Szenen nicht blicken. Weil der Kapitalismus kein Herz hat? Was den Banker etwa veranlasst, einem Junkie beim Fixen zuzusehen, kann auch der exzellente Schauspieler Hunger-Bühler nicht recht vermitteln. Voyeurismus? Sadismus? Man erfährt es nicht. Ebenso vage bleibt, was Svenja und Cordes aneinander finden, man kann es sich erklären, aber nicht nachempfinden. Die aufdringliche Inszenierung von Krebitz' sexueller Attraktivität wirkt wie ein Ersatz für eine differenzierte Figurenzeichnung. Auch wenn Hochhäusler sich zu Recht von der Küchenpsychologisierung des Fernsehens und vieler deutscher Kinofilme distanziert, so ist seine Weigerung, seine Erzählung an konkreten Personen festzumachen, am Ende ärgerlich, weil man an den Figuren und ihrer Geschichte das Interesse verliert. Das ist schade, denn Hochhäusler hätte etwas zu erzählen über den Zusammenhang von Geld und Sex und Körpern – wenn er nur erzählen würde!
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