Kritik zu Stand Up My Beauty
Porträt der jungen Äthiopierin Nardos, die als Sängerin in Clubs auftritt und hofft, mit eigenen Liedern den Durchbruch zu schaffen
Nardos hat einen Traum: mit selbstgeschriebenen Liedern, die vom Alltag der Menschen in Äthiopien erzählen, möchte sie ein großes Publikum erreichen. Bis dahin steht die junge Frau an jedem Abend sechs Stunden lang auf der Bühne eines Clubs in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Als Azmari-Musikerin macht sie dabei schon einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, denn die Azmari-Vortragskunst ist eine Kunst des Weitertragens, bei der die Texte spontan reagieren auf das, was sich im Raum tut, nicht unähnlich dem Rap.
Nardos will vom Alltag erzählen, nicht nur von ihrem eigenen mit drei Kindern und einem Mann, der als Musiker oft auf Tournee ist, sondern auch von dem anderer Menschen. So besucht sie ihre Mutter auf dem Lande und spricht mit ihr darüber, wie es war, als sie sie als Kind zu Verwandten in die Stadt geschickt hat. Damals hat Nardos ihre Mutter und ihre großen Brüder vermisst, heute begreift sie, dass das die einzige Möglichkeit war, einer Zwangsheirat zu entgehen. Äthiopien hat zwar seit Jahren eine Regierung, die den Sozialismus auf ihre Fahnen geschrieben hat, die Schulpflicht für Mädchen wurde gesetzlich verankert, aber mit der Einhaltung hapert es.
Bei der Tauffeier für ihr Neugeborenes ist Nardos noch am Abend zuvor vollauf damit beschäftigt, 40 Stühle für die Gäste zu beschaffen und das Problem mit dem abgestellten Strom (die Mahnung wegen einer nicht bezahlten Rechnung hat sie nicht bekommen) zu beseitigen, dabei versprüht sie das selbe Selbstbewusstsein wie auf der Bühne im Club – aber sie ist auch eine gute Zuhörerin, etwa wenn sie sich wieder einmal auf die Reise begibt, diesmal nach Burbax, wo die Azmari-Musik ihren Ursprung hat. Dort lässt sie sich von zwei Frauen über deren Zwangsverheiratungen erzählen. »Mit 12 wurde ich verheiratet, mit 13 bekam ich meinen Sohn.« Zuhören und daraus etwas erschaffen kommt zusammen, als sie Gennet trifft, die mit 16 Jahren von einem Mann entführt wurde – mit Billigung der männlichen Verwandtschaft. »Meine Onkel fürchteten, mich an die Bildung zu verlieren« kommentiert sie trocken. Gennet trotzt den Umständen, indem sie Gedichte schreibt. So kommt eine Zusammenarbeit mit Nardos zustande, der auch jene Zeile aus dem Lied zu verdanken ist, dem der Film seinen Titel verdankt: »Steh auf, meine Schöne!« Nardos selber bezeichnet ihre Poesie als 'Wachs und Gold': Gold im Kern, aber mit Wachs umwickelt, um die Zuhörer zu erreichen.
Zwischen die Geschichte von Nardos setzt der Film immer wieder dialoglose Passagen, am eindringlichsten eine alte Frau, die versucht, ein schweres Reisigbündel auf ihren Rücken zu hieven. Wie lange das dauert, macht die mehrminütige Sequenz durch Überblendungen sichtbar, Andere zeigen die Veränderungen von Orten, wo einst Bäume in Addis Abeba standen (an die sich Nardos noch erinnert), ist jetzt eine Brache – was daraus einmal werden soll, ist unklar.
Seit ihrem Film »Das Schiff des Torjägers« (2010) widmet sich die Schweizer Dokumentaristin Heidi Specogna kontinuierlich dem afrikanischen Kontinent (so wie sie es zuvor mit den Befreiungsbewegungen in Lateinamerika getan hatte), Entdeckungsreisen in eine ferne Welt, stets auf Seiten ihrer Protagonisten, die meist Frauen sind.
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