Kritik zu The Scars Of Ali Boulala
Das dokumentarische Porträt widmet sich dem tragischen Fall des ehemaligen Skaterprofis Ali Boulala
Wer den heute fast 40-jährigen Ali Boulala mit seinem jüngeren Ich aus Archivaufnahmen bis 2007 vergleicht, versteht sofort, dass hier etwas Dramatisches passiert sein muss. Der extrovertierte, spontane Junge von einst, der viel lachte, ständig Unsinn im Kopf hatte und immer in Bewegung sein musste, ist als Erwachsener kaum wiederzuerkennen.
Boulala wuchs in einem Stockholmer Vorort auf. In den frühen 90ern beginnt er zu skaten, es wird seine erste Obsession. So oft es geht, steht er auf dem Brett. Homevideos zeigen einen schmalen Kerl mit Baggypants und langem Haar, der komplizierte Sprünge mit Leichtigkeit meistert. Mit 16 wird das Naturtalent von einem US-Label unter Vertrag genommen. Er reist in die USA und tourt mit anderen Profiskatern durch die Welt, gibt Interviews, wird berühmt und genießt in der Szene bald den Status eines Rockstars.
Für sein dokumentarisches Langfilmdebüt kann Max Eriksson aus dem Vollen schöpfen, denn auch wenn die Sponsoren die Jugendlichen offensichtlich sich selbst überließen und mit jeder Menge Cash ausstatteten, war immer jemand mit der Kamera dabei. Die geschickte Auswahl und Montage entwickelt dabei einen berauschenden Sog und triggert nostalgische Gefühle – an die eigene Jugend, als alles möglich und man selbst unverwundbar schien. Die jungen Skater treiben dieses Prinzip pubertierend auf die Spitze. Sie blödeln rum, machen Quatsch, trinken Bier, nehmen Drogen und skaten.
Der Regisseur kombiniert das Archivmaterial mit Interviews, die er mit Boulala selbst, seiner Familie und ehemaligen Skatekollegen geführt hat. Das Charisma, das seine Weggefährten speziell ihm rückblickend zuschreiben, ist unverkennbar. Es verwundert nicht, dass alle mit ihm abhängen wollten. Ein unangepasster Skate-Punk im Sid-Vicious-Look, der seine Skills und waghalsigen Sprünge an ungewöhnlichen Orten perfektioniert.
Da ist aber noch diese obsessive Seite, die sich etwa in seinem Jähzorn offenbart: Eine Sequenz reiht scheinbar endlos Szenen aneinander, in denen Boulala seine Boards laut fluchend zertrümmert, wenn etwas einfach nicht gelingt. Mit der gleichen unerbittlichen Härte fordert er seinen Körper, wenn er wiederholt daran scheitert, die in Skaterkreisen legendäre Lyoner Treppe hinunterzuspringen. Obsessiv ist auch sein Drogenkonsum und es erstaunt, dass er überhaupt noch auf dem Brett stehen konnte bei allem, was er zu sich nahm. Ein totaler Exzess, der sich steigert bis zu dem Tag des Unfalls im März 2007.
Bei der Schilderung von Boulalas Weg aus Sucht, Depression und »Survivor Guilt« hätte Eriksson ein bisschen weniger offensichtlich auf der Gefühlsklaviatur spielen können. Dank seines Protagonisten, der auch heute noch eine fesselnde Ausstrahlung hat, gelingt ihm mit »The Scars of Ali Boulala« trotzdem das bewegende Porträt eines Ausnahmetalents und der wilden Skaterszene der 90er Jahre, ohne Themen wie Schuld, Suchtkrankheit oder Traumabewältigung auszusparen.
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