Kritik zu Rot und Blau
Nicht für die Schule, sondern das Leben: In Giuseppe Piccionis (Nicht von dieser Welt) neuem Film geht es um drei Lehrer an einem römischen Gymnasium
Der Italiener Giuseppe Piccioni gehört zu den bekannten Unbekannten unter den europäischen Regisseuren. Fast alle seine Filme (Nicht von dieser Welt, Licht meiner Augen, La vita che vorrei, Giulia geht abends nie aus) wurden auf großen Festivals gezeigt, fanden ihren Weg auch in deutsche Kinos – aber erregten ansonsten wenig Aufmerksamkeit. Doch so mancher Zuschauer wird sich nach »Nicht von dieser Welt« oder »La vita che vorrei« vorgenommen haben, diesen Namen nun nicht mehr zu vergessen, um auch seinen nächsten Film zu sehen. Denn Piccioni liefert eine Sorte von Kino, die rar geworden scheint: kleine Geschichten mit präziser Charakterzeichnung, die formal effizient und zugleich völlig konventionell erzählt werden. Was zunächst langweilig klingt, verwandelt sich auf der Leinwand aber regelmäßig in etwas, das durch Alltäglichkeit und Nachvollziehbarkeit berührt.
»Rot und Blau« – der Titel spielt auf die Korrekturfarben an: Rot für einen gravierenden Fehler, Blau für einen weniger schlimmen – ist dafür nun das jüngste Beispiel. Es geht um drei Lehrer eines römischen Gymnasiums. Herr Fiorito (Roberto Herlitzka) steht als alter Kunstgeschichtslehrer am Ende seiner Berufstätigkeit. Vereinsamt und verbittert behandelt er seine Schüler sämtlich als hoffnungslose Fälle, verärgert seine Kollegen durch bizarres Benehmen und raucht als Letzter noch ungeniert im Klassenzimmer. Giovanni Prezioso (Riccardo Scamarcio) fängt als Aushilfslehrer für Italienisch seine Karriere erst an, beharrt gegenüber Fiorito aber trotzig auf Mitgefühl und Engagement auch für die schlechteren unter den Schülern. Giuliana (Margherita Buy) fühlt sich als Direktorin zwar für alles innerhalb ihrer Schule verantwortlich, bis hin zum Klopapier auf den Toiletten, lehnt aber jeden Einsatz außerhalb ab. Als sie eines Tages einen Schüler, dessen Mutter plötzlich verschwindet, ins Krankenhaus begleiten muss, sieht sie sich schwer herausgefordert.
Piccioni, der hier wie bei all seinen Filmen auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, hält Rot und Blau einmal mehr ganz in den Grenzen der Vorhersehbarkeit. Wie Giuliana durch ihren verwaisten Schüler, so finden sich auch Herr Fiorito und der junge Giovanni durch einzelne Begegnungen provoziert und zum Verlassen ihrer »Komfortzonen« gezwungen. Alle drei haben sich am Ende ein Stück weiterentwickelt. Und all das ist wieder so unspektakulär erzählt, dass man sich erneut wundert, warum es nie langweilig wurde. Mögliche Antworten sind: erstens die Schauspieler, besonders Roberto Herlitzka, die ihren Figuren die nötige Kantigkeit verleihen und sie so nie ins Klischee abgleiten lassen. Zweitens das realistische und doch sehr atmosphärisch gefilmte Schulsetting, das viele eigene Erinnerungen weckt. Und drittens die gewöhnliche Menschlichkeit der Geschichten, die es sowohl dem Zyniker als auch dem Romantiker leichtmachen, darin etwas von sich wiederzufinden.
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